Streit um Wörter
Immer wieder werden in Politik und Gesellschaft teils heftige Debatten um die richtigen Wörter geführt. Beispielsweise darüber, ob mit Lehrer auch Lehrerinnen gemeint sind oder ob Wörter wie Mohr und Zigeuner verboten werden müssen. Die dialogische Analyse ausgewählter Streitpunkte will weder harmonisieren noch dominieren, sondern wesentliche Argumentationslinien anschaulich und nachvollziehbar machen. Die Publikation hilft, Tendenzen der Sprachentwicklung zu verstehen und eigenes und fremdes Sprachhandeln zu beurteilen, Ablehnungen oder Mitvollzug von Entwicklungen auf Sachkenntnis zu gründen. Unsere Autorin Dr. Christine Römer vom Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Universität Jena im Gespräch über „Streit um Wörter“:
Was hat Sie an diesem Thema vor allem interessiert?
Der Streit um richtige, angemessene Benennungen wird sowohl in der Linguistik, Journalistik als auch der Öffentlichkeit erbittert geführt. Mein Interesse gilt dabei den Fragen, wie man den aktuellen Disput um die „richtigen Wörter“ entschärfen und in einen Dialog überführen kann; wie man kommunikative Kompetenz erreichen kann, die beinhaltet, dass Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen als notwendig zu betrachten sind. Andere Meinungen akzeptieren, schließt auch das Akzeptieren der Verwendung anderer Benennungen ein, natürlich nur, wenn sie nicht als Waffen, um sprachlich zu diskriminieren, verwendet werden.
Sie nennen Beispiele für umstrittene Wörter: Können Sie uns am Beispiel von „Mohr“ oder „Zigeuner“ zeigen, wie man den Streit beilegen kann?
M.E. kann man den Streit nicht beilegen, jedoch konstruktiv-kritische Sprachreflexionen initiieren. Dazu gehört, unterschiedliche Positionen anhören und mit linguistischen Methoden hinterfragen. Es gehört auch dazu, nach den Ursachen vertretener Positionen zu forschen und Auswirkungen verlangter Veränderungen aufzeigen. Bei dem Beispiel „Mohr“ hilft eine Analyse der Wortverwendung weiter.
Das Wort „Mohr“ ist schon lange in der deutschen Sprache und bezeichnete bereits im Mittelalter Menschen mit dunkler Hautfarbe (´dunkelhäutiger Bewohner Mauretaniens´) und ist heute veraltet. Dass es wie „Neger“ eine rassistische und verletzende Stigmatisierung von Menschen mit dunkler Hautfarbe vornehme, wie Aktivisten in Berlin als Begründung in einer Petition zur Umbenennung der U-Bahn-Station Mohrenstraße darlegten, nehmen nicht alle an. Auch nicht alle nehmen eine Bedeutungsgleichheit von Neger und Mohr an. In der Thüringer Stadt Eisenberg findet alljährlich im Juni das „Eisenberger Mohrenfest“ statt (https://www.mohrenfest.de/), das sich auf eine Heimatsage um einen Mohr beruft, der auch Teil des Eisenberger Stadtwappens und historisch positiv konnotiert ist, weshalb der Bürgermeister, der Stadtrat und die Einwohnerschaft auch der Meinung sind, dass „Mohr“ eine positive Bedeutung habe. Auch die umstrittene Berliner Mohrenstraße hat die Benennung „Straße der/des Mohren“ nicht mit abwertender Absicht erhalten. Das statistisch erhobene Wortprofil von „der Mohr“ im Wörterbuch „Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute“ (DWDS) (https://www.dwds.de/wb/Mohr#wp-1) zeigt, dass „Mohr“ heute nicht in abwertenden Kontexten verwendet wird. Am häufigsten wird es als Teil der Redensart „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen“ verwendet.
Ein weiterer Streitpunkt in der gesellschaftlichen Debatte ist das Gendern. Was wäre aus Ihrer Sicht der Sprachwissenschaftlerin ein Mittel, dem Thema die Schärfe zu nehmen?
Die Schärfe kann aus der Debatte genommen werden, wenn man auch als Linguistin die existierende Varianz akzeptiert, die besonders in der Alltagssprache existiert. Außerdem sollte abgewartet werden, wie sich die Sprache in Bezug auf die „Geschlechtergerechtigkeit“ weiterentwickelt.
Wenn Sie den Überzeugungen der jeweiligen Kontrahenten auf den Grund gehen: Welcher Methode bedienen Sie sich dabei?
Ich gehe dabei primär vom Kommunikationsmodell des Sprachpsychologen Schulz von Thun aus. Dieses Modell hebt hervor, dass Kommunikationen nicht nur sachliche Informationen sondern auch Einstellungen der Sprechenden übermitteln und durch die Beziehungsebene geprägt sind, dass Gefühle, Ängste und Emotionen mitkommuniziert werden. Hinzu kommt, dass mit dem Kommunikationsereignis bei den Angesprochenen etwas erreicht werden soll. Es gilt also zu erkunden, auf welcher Ebene argumentiert wird und wo es zur gestörten Kommunikation bzw. anderen Auffassungen kommt.
So argumentieren Linguisten auf der Sachebene, wenn sie betonen, dass das „generische Maskulinum“ ein etablierter grammatischer Mechanismus in der deutschen Sprache sei: Eine Bezeichnung mit männlichem Geschlecht (Genus) bezieht sich in der Regel auf alle biologischen Geschlechter (Sexus). Man müsse auch dabei zwischen einer grammatischen und semantischen Kategorie unterscheiden. So bezeichnen Präsensformen auch zukünftige und vergangene Ereignisse oder Singularformen auch eine Mehrzahl („das Personal“). Diejenigen, die das generische Maskulinum ablehnen, argumentieren in der Regel nicht auf der Sachebene. Sie meinen beispielsweise, dass sie mit dem Maskulinum nur mitgemeint sind und äußern ihre Überzeugung, dass sie deshalb explizit bezeichnet werden sollen.
Sie sprechen auch von den „Gefühlen der Streitenden“. Inwieweit fließen diese in Ihr Konzept des Verstehens ein?
Wie schon angesprochen, können Wörter und Wendungen auch emotive Befindlichkeiten der Sprechenden anzeigen. Dies wird von der modernen Sprachwissenschaft und natürlich auch von mir in die Sprachanalyse einbezogen.
Wenn man sich die berechtigte Kritik an der stark vereinfachenden Wendung „alte weiße Männer“ anschaut, muss man die Entstehungsgeschichte einbeziehen. Die Emotionen und Ziele der Bürgerrechtsbewegungen im 20. Jahrhundert und in den Kämpfen der Identitätspolitik haben dazu geführt, dass die Wendung zum ideologischen Kampfbegriff geworden ist.
Ihr Buch trägt dazu bei, „Tendenzen der Sprachentwicklung zu verstehen“. Dabei spielt für Sie die „Sachkenntnis“ eine wichtige Rolle. Wie wenden Sie diese Sachkenntnis an?
Mir ist es wichtig aufzuzeigen, dass Sprachwandel ein notwendiger natürlicher Prozess ist, der zum Erhalt der Funktionsfähigkeit natürlicher Sprachen beiträgt. Dieser Wandel läuft in verschiedenen Sprachmodulen nach jeweils eigenen Prinzipien ab. Schon in der Vergangenheit wurde Sprachwandel öfters mit der Vorstellung des Verfalls der deutschen Sprache verknüpft. Dies trifft beispielsweise auf die Erweiterung des deutschen Wortschatzes durch die Aufnahme von Wörtern und Wendungen aus anderen Sprachen zu, die zu Ängsten vor einer Überfremdung der deutschen Sprache führte und führt.
„Sachkenntnis“ zeigt, dass diese Ängste aktuell unbegründet sind, da der Anteil an Fremdwörtern nur bei ca. 5% liegt. Die beklagte „Anglizismenschwemme“ ist nur in Teilbereichen feststellbar. So kommen speziell in der Werbesprache Anglizismen überproportional zum Einsatz.