filmproduktion
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Veröffentlicht: Januar 26, 2023|Kategorien Medienwissenschaft|Tags: vernarrtinwissen , uvkverlag , utb_verlag_studium , storytelling , regie , novitaeten , neuheiten , medienwissenschaft , interview , filmproduktion , film , drehbuch
Die 73. Berlinale steht vor der Tür. Weltweit eines der bedeutendsten Ereignisse der Filmbranche. Unser Autor von „Filme drehen“, Hagen Myller, erklärt im Interview, warum immer mehr deutsche Filme ihre Geschichte nicht mehr erzählen und was eine falsche Filmförderung damit zu tun hat.
Was zeichnet ein gutes Drehbuch aus?
H.M.: Wenn es eine Geschichte erzählt. Dafür gibt es zwei Voraussetzungen. Die eine ist, dass das Drehbuch überhaupt eine Geschichte hat. Leider erzählen viele Drehbücher ihre Geschichte nicht, weil die Urheber oft keine klare Vorstellung von dem haben, was sie eigentlich sagen wollen. Eine These, die ich in meinem Buch vertrete, ist, dass es sich bei dem 3-Akt-Schema um eine Argumentationsstruktur handelt, die auf die 'Moral von der Geschicht' hinausläuft. Wenn Sie aber keine klare Vorstellung von dem haben, was sie erzählen wollen, können Sie das auch nicht klar ausdrücken.
Und was ist das zweite Problem?
H.M.: Das zweite Problem ist, dass die Autoren und Autorinnen das, was sie erzählen wollen, nicht filmisch erzählen. Da steht z.B. in einer Szene, dass eine Figur das Zimmer betritt und sich nervös setzt. Aber woran sehe ich als Zuschauer, dass sie nervös ist? Da schiebt der Autor dem Regisseur und dem Schauspieler etwas zu, was eigentlich seine Arbeit ist. Oder er versucht das Problem zu lösen, indem er eine andere Figur fragen lässt, "Geht's dir nicht gut?" Das ist natürlich Mist.
Und wie sieht das in einem guten Drehbuch aus?
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H.M.: Wenn Sie Nervosität in der Szene ausdrücken wollen, dann vielleicht dadurch, dass die Figur versucht sich schnell zu setzten, um einen sicheren Platz zu erreichen. Und dann stößt sie dabei vielleicht noch etwas um, was auf dem Tisch steht und reagiert fahrig darauf. Das sind dann Dinge in einem Drehbuch, mit denen ein Schauspieler auch etwas anfangen kann. So setzt sich eine Filmgeschichte aus Handlungen zusammen.
Also braucht ein guter Film viel Handlung, oder geht es auch ganz still?
H.M.: Da insinuieren Sie einen Widerspruch, der so nicht existiert. Bei Actionfilmen ist die Frage doch nur, wie oft der Held eins mit dem Baseballschläger über den Schädel gezogen kriegt, bevor er dann doch wieder aufsteht. Das ist absolut lächerlich. Dass Handlung und Stille sich nicht ausschließen, sehen Sie in dem Film "Stalker" von Andrej Tarkowski. Er hat am Anfang seines Films eine Actionszene, die er in nur wenigen, einfachen Einstellungen gefilmt hat, die aber total dynamisch ist. Der Rest des Films ist still. Großartige Handlungen gibt es da nicht. Aber alles steht in dem Spannungsverhältnis, was die Motive der Figuren sind. Von diesem Spannungsverhältnis lebt dieser Film, von der Verzweiflung der Figuren. Auf der anderen Seite steht das, was ich situationsorientierte Filme nenne, die nur Zustände zeigen und sich nicht über Handlung erzählen. Dabei sind sie nur scheinbar still. Tatsächlich sind sie ziemlich laut, weil sie ihre Geschichten über bedeutungsschwangere, aber nichtssagende Dialoge erzählen. Davon gibt es in Deutschland leider viel zu viele.
Welche Geschichten eignen sich besonders fürs Filmemachen?
H.M.: Das ist eine alte Streitfrage. Stanley Kubrick hat gesagt: "If it can be written or thought, it can be filmed." Ich denke, Film eignet sich für alle Geschichten, in denen sich etwas bewegt. Film ist das Medium, das Bewegung aufzeichnet, und das können Sie auch übertragen sehen: Movies it's called. You got to move your audience!
Sie betonen die Rolle der Montage – warum ist das für Sie so wichtig?
H.M.: Man muss sich anschauen, was Film eigentlich ausmacht. Zunächst ist da eine Aufnahme. Dann kommt eine zweite dazu. Jetzt fügen Sie die beiden Aufnahmen zusammen und Sie erhalten eine bestimmte Aussage. Und wenn Sie die Reihenfolge der beiden Clips umdrehen, erhalten Sie eine andere Aussage. Das ist Film. Montage bedeutet, dass man etwas Ganzes erzeugt, indem man es aus Teilen zusammensetzt. Und das betrifft alle Elemente einer Geschichte. Eine Filmgeschichte baut sich modular auf. Und dabei ist es egal, ob Sie eine Szene durch Montage oder durch innere Montage erzählen. Das ist dann eine Stilfrage. Aber das Prinzip ist das Gleiche.
Welche Eigenschaften zeichnen für Sie einen guten Regisseur aus?
H.M.: Das hängt davon ab, wen Sie fragen. Viele Leute haben die Vorstellung von einem Regisseur als Zampano. Diese Vorstellung ist nicht unberechtigt. Sie müssen ein Team leiten und das bedeutet, dass Sie wissen müssen, was Sie wollen. Wenn Sie nur rumprobieren, weil Sie nicht wissen, was Sie wollen, springt Ihnen Ihr Team ab. Für Produzenten ist ein guter Regisseur ein Regisseur, der im Budget bleibt. Eine andere Voraussetzung ist, den Stil z.B. einer Serie umzusetzen und fortzuführen. ich denke, was einen guten Regisseur auszeichnet, ist das letzte der drei großen H, Handwerk, Handschrift und Haltung. Handwerk ist die Voraussetzung, Handschrift ist der persönliche Stil. Kunst entsteht nur, wenn der Regisseur eine eigene Haltung zum Leben hat und die auch im Film umsetzen kann. Das gibt es selten. Die Schwierigkeit liegt im 'und', eben nicht nur eine Haltung zum Leben zu haben, sondern sie auch im Film umsetzen zu können. Man erkennt es daran, ob ein Regisseur das Wesentliche erzählt und weiß, was er weglassen kann. Picasso hat einmal gesagt, "Kunst ist die Kunst des Weglassens." Das trifft auch auf den Film zu.
Sie kritisieren schon seit längerem die Filmförderung in Deutschland. Warum?
H.M.: Weil keine guten Filme dabei herauskommen. Deutschland produziert um die 150 Kinofilme pro Jahr, von denen nur zwei bis drei Prozent an der Kinokasse erfolgreich sind. Auf der künstlerischen Seite sieht es nicht besser aus. In den Wettbewerben der großen A-Festivals wie Cannes ist der deutsche Film nicht mehr vertreten. Ein Problem sind die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, ohne die die Finanzierung eines größeren Kinofilms praktisch nicht möglich ist. Mit Filmen für die Prime Time von Sendern, deren Zuschauerschaft um die 60 Jahre alt ist, locken Sie aber niemand ins Kino und gewinnen auch keine Preise.
Liegt das Problem nur an den Sendern?
Nein, natürlich nicht. Das Grundproblem ist, dass nur eines von vier Projekten in Deutschland gefördert werden kann. Mehr Geld ist nicht vorhanden. Und die Entscheidung darüber, was finanziert wird, treffen die Gremien der Förderungsinstitutionen, in denen allerdings auch die Sender vertreten sind. Eigentlich macht man Filme für das Publikum, aber wenn die Gremien mein Projekt ablehnen, erreiche ich mein Publikum schon gar nicht. Also stricke ich als Produzent mein Projekt so, dass es von den Gremien gefördert wird und denke erst in zweiter Linie an das Publikum. Dass das nicht erfolgreich ist, zeigen die Zahlen an der Kinokasse. Die deutsche Filmförderung sollte stärker nach Erfolgskriterien ausgerichtet werden, als das bisher durch die Referenzförderung erfolgt. Das wäre gerecht. Aber ich befürchte, dass dies auch nach der Novellierung des FFG (Filmförderungsgesetz) nicht der Fall sein wird. Es gibt einfach zu viele Interessengruppen, die nichts anderes versuchen, als ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzubekommen.
Autoreninformation:
Hagen Myller (M.A.) studierte Theater und Film. Er ist Autor, Regisseur, Produzent und als freier Dozent tätig. Er war bzw. ist an der Filmakademie Baden-Württemberg, ISFF Institut für Schauspiel, Film- Fernsehberufe Berlin, Masterschool Drehbuch Berlin, SAE Institute Berlin, Bochum, Hannover, Frankfurt, Stuttgart in der Lehre tätig.