germanistik

  1. Performativität: Sprachen lernen mit dem ganzen Körper


    Unterricht körperlicher gestalten und erfahrungsbasiertes Lernen ermöglichen – Prof. Dr. Doreen Bryant und Prof. Dr. Alexandra L. Zepter, Autorinnen von "Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ)", erklären im Interview, warum diese Aspekte des performativen Lernens auch oder gerade im Bereich des Erwerbs von Deutsch als Zweitsprache zunehmend in den Blick rücken:

    Warum sind performative Zugänge besonders geeignet für das sprachliche bzw. zweitsprachliche Lernen?

    Der größte Pluspunkt von performativen Zugängen ist, dass sie ─ durch den stärkeren Einbezug des eigenen Wahrnehmens, Fühlens und Handelns, durch die Betonung von kreativen und spielerischen Aspekten ─ oftmals mehr Schüler:innen ansprechen, motivieren und mitnehmen ─ auch solche, die sich in einem ‚klassischen‘ Sprachunterricht, in dem alle Schüler:innen auf ihren Plätzen sitzenbleiben, eher schwertun. Darunter sind viele Schüler:innen, die wir im Rahmen von Sprachfördermaßnahmen vielleicht gerade erreichen möchten. Außerdem eignen sich performative Zugänge auch deshalb besonders für heterogene Gruppen, weil ein eher ganzheitlich orientiertes und kreatives Arbeiten viele Möglichkeiten für Differenzierung bei gleichzeitig gemeinsamem inklusivem Lernen eröffnet.

    Sie beziehen sich in Ihrem Buch auf Embodiment-Theorien. Warum und wie stellen sie eine theoretische Grundlage für performative Zugänge zu sprachlichem Lernen dar?

    Sprache ist ja grundsätzlich ein großartiges Instrument. Wir können, wenn wir eine Sprache gut beherrschen, über alles Mögliche sprechen ─ über das, was wir in der Welt wahrnehmen, was wir erfahren haben, was wir uns vorstellen, was wir fühlen etc.

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    Nach dem so genannten Erfahrungsspurenansatz ─ ein Ansatz aus dem Spektrum der Embodiment-Theorien ─ sind die Prozesse, die kognitiv ablaufen, wenn wir etwas wahrnehmen, wenn wir uns bewegen und handeln, nicht kategorisch verschieden von den mentalen Prozessen, die involviert sind, wenn wir über Wahrnehmungen, Handlungen, Bewegungen etc. sprechen. Wenn wir z.B. ein Wort wie ‚Flugzeug‘ sprachlich verarbeiten, dann werden mental ‚Spuren‘ von zurückliegenden Erfahrungen aktiviert, in denen wir vielleicht ein Flugzeug am Himmel gesehen, nach oben gezeigt, es gehört haben und so weiter. Generell geht man in Embodiment-Theorien davon aus, dass der Körper und mit ihm Sinneswahrnehmung, Bewegung, Emotionen eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Kognition und Sprache spielen.

    Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, auch beim Sprachunterricht mit Konzepten und Methoden zu arbeiten, die reale Wahrnehmungen, körperlich durchgeführte Handlungen, Bewegungen etc. beim Lernen stärker mit einbeziehen und derart quasi als Verstärkung wirken und den Zugang zum sprachlichen Lerngegenstand erleichtern ─ z.B. durch handlungsbegleitendes Sprechen, durch die Kombination von sprachlichem Lernen und Bewegung und/oder Rollenspiel.

    Ihr Buch trägt den Titelzusatz: „Ein Lehr- und Praxisbuch“. Wie gelingt Ihnen die Verknüpfung von Theorie und Praxis?

    Das Buch besteht aus zwei Teilen, die eng miteinander verlinkt sind. Im ersten Teil geben wir Einblicke in die theoretischen Grundlagen ─ kognitionstheoretisch, spracherwerbstheoretisch, sprachwissenschaftlich und sprachdidaktisch ─ und wir haken auch genauer nach, was unter dem Begriff der Performativität und des performativen Zugangs zu verstehen ist. Da es ein Lehrbuch ist und sich sowohl fürs Selbststudium als auch für die Seminar- und Workshop-Arbeit eignen soll, gibt es generell viele begleitende Aktivierungs- und Lernaufgaben. Der zweite Teil des Buchs schlägt dann die Brücke zur Praxis und wird hier sehr konkret. Wir stellen insgesamt 13 verschiedene performative Zugänge vor ─ wobei wir auf der einen Seite die klassischen sprachlichen Lernbereiche Mündlichkeit und Schriftlichkeit adressieren, auf der anderen Seite aber auch performativitätsbezogen verschiedene Schwerpunkte setzen: z.B. sprachliches Lernen mit Rhythmus und Musik, durch Bewegung, durch Handeln, mit Dramapädagogik/Theaterspiel.

    Und wie konkret sind die praktischen Anregungen im Teil II?

    Sehr konkret. In jedem Kapitel gibt es ein Unterrichtsbeispiel ─ in der E-Library dazu passendes Unterrichtsmaterial und einen digitalen Stundenverlauf. So sind die Unterrichtsentwürfe ohne viel Aufwand sofort einsetzbar. Wir haben bereits Rückmeldungen von einigen Lehrkräften erhalten, die die Beispiele umgesetzt und erprobt haben. Zu unserer Freude sind alle sehr begeistert. Auch hier haben wir das Feedback erhalten, dass sich durch die performativen Zugänge viele Schüler:innen persönlich angesprochen und auf ihren jeweils individuellen Sprachlernständen „abgeholt“ fühlen und dass der Unterricht „leichter“ wird, weil er mehr Freude macht.

    Enthält das Buch auch Anregungen für Schülerinnen und Schüler, die noch über keine oder nur geringe Deutschkenntnisse verfügen?

    Ja, durchaus. Man denke zum Beispiel an die Schüler:innen aus der Ukraine. In Folge des Krieges sind ja seit Februar mehr als 90.000 Kinder und Jugendliche vom deutschen Schulsystem aufgenommen worden. Sie müssen nun sehr schnell die deutsche Sprache lernen, um auch am Fachunterricht teilnehmen zu können. Die performativen Zugänge des Buches nehmen sowohl alle schulischen Altersstufen von der (frühen) Grundschule über die Sekundarstufen bis hin zur Berufsschule in den Blick als auch alle Sprachniveaustufen. Ein Kapitel zum Spracheinstieg in der Grundschule nutzt z.B. Bilder, Bilderbücher und Emotionen als Erzählimpulse, ein anderes Kapitel setzt auf dramagrammatisches Arbeiten in Alphabetisierungskursen mit (jungen) Erwachsenen. Allgemein können die Vorschläge natürlich auch weitergedacht und für andere Gruppen adaptiert werden; auch dazu gibt es Anregungen.

    Sind die methodischen Vorschläge Ihres Buches ausschließlich auf den Sprachunterricht zugeschnitten?

    Keineswegs. Auch der sprachsensible, sprachbildende Fachunterricht kann von den methodischen Anregungen profitieren. Exemplarisch wird dies im Buch u.a. für die Kunst des Debattierens im Rahmen des Geographieunterrichts, für Rhythmicals im Musikunterricht und für den Einsatz verschiedener Inszenierungstechniken (auch) im Fachunterricht Deutsch aufgezeigt.   

    Gibt es weitere Aktivitäten, die in naher Zukunft zum Thema Performativität geplant sind?

    Ja, das Thema ist zu unserer großen Freude sehr angesagt und nachgefragt. Allein in den nächsten drei Monaten finden einige sprachdidaktisch bedeutsame Veranstaltungen statt, auf denen wir Inhalte des Buches präsentieren werden:

    Am 24. Juni 2022 tagt die Lehramtsinitiative der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaften (DGfS) an der Universität Tübingen zum Thema „Performative Zugänge zu DaZ und Sprachbildung im Fach“. Hier sind wir an drei Workshops beteiligt: 1) Performativ-ästhetische Dimensionen des generativen Schreibens; 2) Handlungsorientierter Sprach- und Schriftgebrauch (HOSS); und 3) Dramagrammatik: Einsatzmöglichkeiten und Variationen. Noch gibt es ein paar freie Plätze ─ bei Interesse kann man sich unter mehrsprachigkeit@ds.uni-tuebingen.de melden und über die gebührenfreie Fortbildung informieren lassen und für einzelne Workshops anmelden.

    Am 1./2. Juli 2022 sind wir dann an der Universität Leipzig und gestalten im Rahmen der Grammatikdidaktik-AG der deutschdidaktischen Gesellschaft Symposion Deutschdidaktik (SDD) einen Workshop zu performativen Konzepten grammatischen Lernens in der Zweitsprache.

    Und vom 15. bis 20. August 2022 findet in Wien die Internationale Tagung der Deutschlehrer:innen (IDT) statt, an der wir mit einem Vortrag zu sprachförderlichen Potenzialen von Inszenierungstechniken teilnehmen.

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  2. "Sprache verändert sich, und das ist gut so"


    „Die Sprache verändert sich, und das ist gut so“ – Prof. Christa Dürscheid im Gespräch mit dem Wissenschaftsjournalisten Beat Glogger in der Gesprächsreihe „Geisteswissenschaft konkret“ der Universität Zürich.

    Heißt es nun: “Während dem Fußballspiel“? Nein: Es heißt nach wie vor: „Während des Fußballspiels“ – denn die Präposition „während“ regiert den Genitiv, nicht den Dativ. Aber in der Umgangssprache beginnt der 3. Fall den 2. zu meucheln. Ist der Dativ also dem Genitiv sein Feind? Ja, sagt Prof. Christa Dürscheid, dann nämlich wenn es um die Einhaltung von Normen in der Sprache geht. Und Normen sind zumindest für den, der ein gewisses Sprachempfinden besitzt, eine Herzensangelegenheit. Andererseits verändert sich Sprache. Sie bleibt in Bewegung, integriert bislang unbekannte Elemente – wie die „Emojiis“ in den sozialen Netzwerken. Ein Unglück? Keineswegs! Denn es gilt: „Sprache verändert sich!“ sagt die Professorin für Deutsche Sprache an der Universität Zürich. „Und das ist gut so!“

    Christa Dürscheid hat eine Professur für deutsche Sprache. Sie ist Trägerin des Konrad-Duden-Preises 2020 (https://www.duden.de/ueber_duden/konr...​) und veröffentlicht unter https://twitter.com/VariantenGra​ regelmäßig Tweets zur sprachlichen Variation im Deutschen.

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