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  1. Safer Internet Day: "Medienkompetenz ist kein Ersatz für Regulierung!"


    Am heutigen „Safer Internet Day“ wird bundesweit zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet aufgerufen. Unser Autor Manuel Puppis von "Medienpolitik" ist Professor für Medienstrukturen und Governance am Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Freiburg (Schweiz).  Im Interview spricht er über Gefahren der Algorithmen und warum Medienkompetenz kein Ersatz für Regulierung ist:

    Beim Thema Medienkompetenz geht es häufig um Kinder und Jugendliche und die Verankerung im Schulunterricht. Warum ist das so? Und was ist mit Erwachsenen?

    In der Tat steht beim Thema Medienkompetenz häufig der Schutz von Kindern und Jugendlichen im Mittelpunkt. Ziel ist es, Minderjährige auf Situationen vorzubereiten, in denen sie mit nicht-altersgerechten oder problematischen Inhalten und Verhaltensweisen in konfrontiert werden. Da es im Internetzeitalter nicht möglich ist, den Zugang von Kindern und Jugendlichen zu sämtlichen für sie ungeeigneten Inhalten zu verhindern, kommt einem reflektieren Umgang mit Medien und Onlineplattformen eine große Bedeutung zu. Es geht also um mehr als nur die Fähigkeit, technische Geräte zu bedienen, sondern Medienkompetenz umfasst ein Verständnis der Funktionsweise und der gesellschaftlichen Bedeutung mit Medien und Plattformen. Darunter fallen beispielsweise Fragen der Finanzierung, der Prozesse der Inhaltsproduktion, der Personalisierung von Inhalten mittels Algorithmen oder des Datenschutzes.

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    Der Schule kommt bei der Förderung von Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen eine zentrale Rolle zu. Nur über die Schule werden Kinder und Jugendliche unabhängig von Bildungsschicht und sozialem Hintergrund der Eltern erreicht. Gleichzeitig ist aber zu bedenken, dass das Bildungssystem mit rivalisierenden Ansprüchen konfrontiert ist. Um eine Überforderung von Lehrpersonen zu verhindern, können Ergänzungen wie Peer-Education-Projekte oder die Einbindung von Gastreferent:innen in den Unterricht sinnvoll sein.

    Das Thema Medienkompetenz betrifft aber alle Altersgruppen, nicht nur Kinder und Jugendliche, die noch zur Schule gehen. Auch Erwachsene brauchen Kompetenzen zum Umgang mit Medien und Onlineplattformen. Aber genauso wie der Zugang zu Medien unter Internet in der Gesellschaft ungleich verteilt ist, unterscheiden sich auch die Möglichkeiten zum Umgang mit Medien und damit zur souveränen Lebensgestaltung und politischen Teilhabe in der digitalen Gesellschaft je nach sozialer Klasse, Gender, Race oder Alter teilweise deutlich.

    Deshalb ist die Medienkompetenzförderung auch eine zentrale Aufgabe der Medien- und der Bildungspolitik.

    Welche Gefahren entstehen durch die Digitalisierung und insbesondere durch auf Big-Data-Modellen basierende Algorithmen?

    Zuerst einmal: Die Digitalisierung bietet viele Chancen, und zwar nicht nur wirtschaftliche. Durch das Internet und Onlineplattformen sind neue Möglichkeiten zur Information, Diskussion und Partizipation, aber auch zur kreativen Produktion eigener Inhalte entstanden.

    Es ist aber richtig, dass die Inhalte, die uns als Nutzer:innen auf Onlineplattformen wie Facebook, YouTube oder TikTok angezeigt oder empfohlen werden, durch Algorithmen ausgewählt werden. Die im Auftrag von Plattformen programmierten Algorithmen bestimmen also, welchen Nutzer:innen welche Inhalte angezeigt werden und welche nicht. Diese algorithmische Selektion unterscheidet sich von der Selektionslogik von Massenmedien. Dies bringt drei Probleme mit sich. Erstens könnten Algorithmen verzerrte Resultate liefern, ein sogenannter «Bias», weil die verwendeten Daten bereits Verzerrungen enthalten, wie eine Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder Hautfarbe oder weil in die Programmierung bestimmte Werte eingeflossen sind. Dadurch können Algorithmen bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten reproduzieren. Zweitens sind die Plattformen, welche die Programmierung dieser Algorithmen in Auftrag geben, gewinnorientierte Unternehmen. Algorithmen sollen deshalb Inhalte ausspielen, welche die Nutzer:innen möglichst lange auf der Plattform halten, um deren Aufmerksamkeit dann an Werbetreibende aus Wirtschaft und Politik verkaufen zu können. Diese Inhalte müssen aber gesellschaftlich nicht sonderlich relevant sein. Und drittens ist selten transparent und nachvollziehbar, wie die zum Einsatz kommenden Algorithmen funktionieren und weshalb bestimmte Resultate zustande kommen.

    Deshalb muss Medienkompetenz heute auch ein Verständnis der Funktionsweise von Plattformen umfassen, beispielsweise ihrer Geschäftsmodelle, der Verwendung von Daten oder der Bedeutung von Algorithmen.

    Medienkompetenz ist offensichtlich von großer Bedeutung. Ist es damit also getan?

    Der Medienkompetenzförderung kommt die zweifelhafte Ehre zu, als von allen Akteuren akzeptierte Lösung für alle Arten medienpolitischer Probleme propagiert zu werden – wer kann schon gegen kompetente Nutzer:innen sein?

    Es besteht aber auch die Gefahr, dass damit alle Probleme individualisiert werden. Zum einen werden die Nutzer:innen auf ihre Rolle als Konsument:innen reduziert. Gesellschaftliche Fragen wie Kommunikationsrechte oder die Partizipation von Bürger:innen werden hingegen vielfach ausgeblendet. Zum anderen findet eine Verantwortungsverschiebung zu den einzelnen Nutzer:innen statt. Statt Medien- und Plattformunternehmen mit Regulierung in die Pflicht zu nehmen, sollen die Nutzer:innen sich selbst vor Risiken der Mediennutzung schützen.

    Doch so zentral Medienkompetenz auch ist, sie ist kein Ersatz für Regulierung. Medienkompetenzförderung und andere medienpolitische Maßnahmen wie die Sicherstellung eines starken öffentlichen Rundfunks, die Förderung von Journalismus, Beschränkungen von Medienkonzentration und Eingriffe in demokratieunverträgliche Geschäftsmodelle und Algorithmen von Plattformen müssen miteinander kombiniert werden.

    Mehr in "Medienpolitik" (Manuel Puppis), 3. Auflage, ISBN 978-3-8252-4378-4

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  2. Influencer: Männlein und Weiblein im Charaktercheck


    Der "Sniper" als zielsicherer Scharfschütze oder die kreative "Mamabloggerin"? Der Medien- und Kommunikationswissenschaftler und Social-Media-Experte Dr. Frederik Weinert charakterisiert in seinem Buch "Hexendoktor, Sniper oder Sexgöttin" die unterschiedlichen Influencer-Typen und gibt Tipps, wie Unternehmen das für ihr Image nutzen können:

    Influencer:innen sind die neuen Werbestars. Warum sind sie glaubhafter als viele klassische Promis?

    FW: Influencer:innen entwickeln so etwas wie eine Freundschaft zu den Fans. Diese starke soziale Bindung beeinflusst die Kaufentscheidungen, daher auch die Bezeichnung Influencer Marketing. Die digitalen Werbestars interagieren emotional mit den Fans, schicken Herzchen und stehen den Fans mit Rat und Tat zur Seite. Auf diese Weise sind Influencer:innen wertvolle Bezugspersonen, die teilweise einen größeren Einfluss auf das echte Leben haben als Eltern, echte Freunde oder der Hausarzt. Die Gefahr ist, dass Influencer:innen in den Sozialen Medien oft nur eine Show abziehen bzw. sich so verhalten, wie es die Fans erwarten. Das ist allerdings nicht verwunderlich, denn ein Blick ins klassische Fernsehen zeigt, dass auch dort Stars wie Thomas Gottschalk, Elton oder Oli Pocher immer lustig sind. Genau wie Fernsehstars bauen sich Internetstars ein verlässliches Image auf. Das ist harte Arbeit und kein Zufall. Es ist eine Strategie, und diese Strategie gepaart mit starker sozialer Bindung und fachlicher Expertise macht die Influencer:innen glaubwürdiger als klassische Promis.

    Wie erklären Sie sich als Medienwissenschaftler den Hype um Influencer:innen, also einem „Idol“, dem man folgt? Welches psychologische bzw. soziale Motiv vermuten Sie dahinter?

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    FW: Influencer:innen zeigen sich sexy, interessant und einzigartig. Allein das wirkt auf viele Menschen sehr anziehend. Die Internetstars sind allesamt erfolgreich, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Es ist normal, dass sich Menschen an Mentoren wenden, z. B. an Arbeitskolleg:innen oder Vorgesetzte, die eine größere Expertise haben. Durch gezielte Adaption versucht der Mensch, sich seinen Vorbildern anzupassen, ihnen nachzueifern. Außerdem mögen Menschen das Gefühl, Anerkennung zu erhalten. Wenn Internetstars öffentlich auf Instagram mit einem Fan schreiben, entsteht ein Glücksgefühl, eine Form von Wertschätzung. Außerdem erfüllen Influencer:innen soziale Bedürfnisse wie Freundschaft und Zugehörigkeitsgefühle. Diese Community macht süchtig, was dazu führt, dass Fans den Handlungen und Handlungsanweisungen des Idols folgen. Das betrifft Verhaltensweisen und Kaufentscheidungen sowie Weiterempfehlungen. Unternehmen und Marken tun deshalb gut daran, mit Influencer:innen zu kooperieren, z. B. in den Bereichen Mode, Tourismus und Technik. Eine Kooperation erhöht sowohl die Reichweite als auch den Absatz.

    Was raten Sie Unternehmen, die noch keine Erfahrung mit Influencern haben? Wie finden sie die richtige Person?

    FW: Die Lokalpresse studieren. Da gibt es immer wieder Berichte über regionale Influencer:innen, die interessant sein könnten. Es ist außerdem wichtig, selbst zu schauen, ob es passende Gesichter in den Sozialen Medien gibt, die zur Marke passen, z. B. über Hashtags und Suchfunktionen. Mein neues Buch „Hexendoktor, Sniper oder Sexgöttin. Wie Unternehmen die Zusammenarbeit mit Influencer:innen optimieren“ ist die optimale Entscheidungshilfe, sowohl für Unternehmen als auch für Influencer:innen. Das Buch zeigt, welche Influencertypen es gibt, welche Stärken sie haben und wie die erste Kontaktaufnahme gelingt.

    Welcher Ihrer zehn Influencer-Typen ist Ihnen persönlich am sympathischsten?

    FW: Ich mag den Guru als digitalen Trendsetter, weil ich mich selbst sehr für Technik und Innovation interessiere. Technik-Influencer sind meistens sehr kompetent und glaubwürdig. Außerdem gefällt mir das Tattoogirl als Influencertyp, weil diese weiblichen Internetstars mit ihrer brachialen Ästhetik optimal spielen und dadurch sehr stark auffallen und sich perfekt für alternative Marken eignen.  Ziemlich cool finde ich das Alien als Paradiesvogel unter den Internetstars, weil dieser Influencertyp ideal zu neuen Marken und starken Start-ups passt, die sich etwas trauen. Ich kann versprechen, dass für jedes Unternehmen ein passender Influencertyp dabei ist, beispielsweise die Mamabloggerin für Kindernahrung, Drogerieartikel usw. oder Clown als Komiker, der jedes Produkt und jede Dienstleistung als Erlebnis darstellt.

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  3. Storyporting statt Storytelling

    Storytelling hat seine Stärken u. a. in der anschaulichen Vermittlung von Erfahrungswissen. Doch in der öffentlichen Kommunikation werden Narrative zunehmend manipulativ missbraucht.

    Dieses Buch liefert die Storyporting-Methode: Seriöses Storytelling konvergiert mit evidenzbasiertem Reporting, woraus eine Kommunikationsform entsteht, die subjektive Wahrnehmung und Analyse verbindet. Praxisbeispiele und Tools zeigen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Storyportings auf, etwa bei Änderungsprozessen in Unternehmen, Kommunen und Organisationen.

    Das Buch richtet sich an Lehrende, Studierende, Funktionsträger:innen aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Medien und Bildung sowie an interessierte Bürger:innen.

    Im Video erklären die Autor:innen Prof. Prof. Dr. Rainer Nübel und Prof. Dr. Susanne Doppler erklären im Video den dreistufigen Prozess des Storyporting:

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  4. Globalisierte Welt gleich globalisierte Kommunikation?



    Ein Interview mit Dr. Anne Grüne und Prof. Kai Hafez von der Universität Erfurt über die Blockaden der globalen Kommunikation

    Gibt es eigentlich schon eine funktionierende „Globale Kommunikation?“

    Die gibt es durchaus, und zwar in allen Feldern: in den klassischen Medien, in sozialen Medien ebenso wie in der grenzüberschreitenden Interaktion von politischen Systemen, im Bereich der Wirtschaftskommunikation wie auch in der weiteren Gesellschaft und zwischen Individuen, im Alltag, im Tourismus usw. Das Problem ist aber, dass sich Umfang und Qualität der Kommunikation nicht so einheitlich positiv entwickeln, wie oft gedacht wird, wenn davon die Rede ist, dass wir in einem „Zeitalter zunehmender globaler Vernetzung“ leben. Mythos und Realität vermischen sich hier stark und in vielen Bereichen bleibt unsere globale Kommunikationsfähigkeit hinter den dynamischen Austauschbeziehungen gerade im globalen Wirtschafts- und Warenverkehr zurück. Eine Welt vernetzt sich, mit der wir aber nicht immer hinreichend im Austausch stehen. Daraus entsteht bei vielen Menschen Unverständnis und Widerstand – eine Sprachlosigkeit, die gerade rechte politische Kräfte für sich zu nutzen suchen, wenn sie ihre neonationalistischen Projekte betreiben. Die kommunikative Bewältigung des globalen Wandels gelingt nur sehr begrenzt. Wir zeichnen diese Probleme theoretisch nach und versuchen, den empirischen Forschungsstand darzulegen. Wir glauben, dass ein solcher Überblick nötig ist, um die Fort- wie auch die Rückschritte der globalen Beziehungen besser zu verstehen. 

    Wer sind die Träger dieser Kommunikation?

    In unserem Buch sprechen wir hier zum Teil von globalen Informations- und Kommunikationseliten, die wir von den oft stärker lokal verhafteten Menschen abgrenzen. Wir verwenden dabei keinen traditionellen Elitenbegriff, sondern einen dynamischen. Elite kann jede/r sein, Sie, ich, wir, gerade die neuen digitalen Medien eröffnen hier neue Chancen. Der Elitenbegriff weist aber durchaus darauf hin, dass globalen Kommunikationskompetenz auch eine Ressource von Macht ist, die durchaus gleichwertig mit den klassischen Kapitalsorten wie „Gewalt“ und „Kapital“ sein kann. Hier liegt aber zugleich aus unserer Sicht ein Problem, da die Fixierung auf „Medien“ – Presse, Rundfunk, digitale und soziale Medien – als Träger der globalen Moderne – in sozialen Bewegungen, in Lebenswelten und zunehmend auch in politischen Institutionen – die direkte zwischenmenschliche Kommunikation immer mehr in den Hintergrund drängt. Unsere Analyse zeigt aber, dass in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft globale Kommunikation de facto in hohem Maße auf diesen direkten Begegnungen basiert und diese Welt in nicht geringem Maße stabilisiert – man denke nur an die klassische Diplomatie. Die Vorstellung einer zunehmenden und wünschenswerten Mediatisierung von Globalisierung bietet daher neben Chancen auch zahlreiche Risiken. Wir beobachten diese Welt mehr als dass wir mit ihr interagieren. Wir bilden eine Weltgesellschaft, die zugleich ohne einen Weltstaat auskommen muss und in der wir möglicherweise eher die Potentiale großer und kleiner Weltgemeinschaften im Blick behalten sollten, die durch direkte Interaktion entstehen können: mit „dem Fremden“ reden statt über ihn oder sie; den anderen als theoretisches Subjekt ernst nehmen, statt ihn oder sie nur als empirische Evidenzmasse zu behandeln. Die Blockaden der globalen Kommunikation entstehen auch durch eine Technik- und Medienfixierung der Moderne, die eine Aneignung des Globalen in letzter Instanz unmöglich macht.   

    Stehen nicht unterschiedliche kulturelle Konzepte von Gesellschaften und der Kommunikation in ihnen einer funktionierenden globalen Kommunikation entgegen?

    Genau das halten wir für völlig unbelegt und wissenschaftlich überholt. „Kultur“, „Nation“ und „Religion“ werden kommunikativ konstruiert und wenn kulturelle und rassistische Feindbilder existieren hat dies am Ende wenig mit einer mythologisierten Essenz – einem vermeintlichen asiatischen, westlichen, islamischen Wesen usw. – und vielmehr mit konkreten Akteuren und ihren Interpretationen und Deutungen der Welt zu tun. Es gibt am Ende keine einheitlichen Identitäten, sondern bestenfalls kommunizierte Stereotope, die uns eine Unvereinbarkeit der Welt suggerieren wollen. Gerade die großen Institutionen wie die Massenmedien spielen hier eine Rolle als hochproblematische Weltbildapparate, die uns zu oft eine chaotische Außenwelt suggerieren und dabei im Grunde vor allem ihre eigenen Vorurteile und die ihrer Politiker*innen und Mediennutzer*innen widerspiegeln. Die weißen Flecken unserer Nachrichtengeographie sind unglaublich beharrlich und lassen auch in der Moderne uralte Klischees hochgradig virulent erscheinen. Ob „böse Chinesen“, „faule Griechen“ oder „fanatische Muslime“: wir kriegen das alles jeden Tag frei Haus in unser Wohnzimmer geliefert, wir verstehen es aber oft nicht. Natürlich gibt es auch exzellente Auslandsberichterstattung – aber Umfang und Qualität könnten oft besser sein und die ehemalige revisionistische Haltung, dass die Massenmedien – und übrigens auch die Sozialen Medien – an der Globalisierung strukturell scheitern, hat sich längst als neue orthodoxe Lehrmeinung in der Wissenschaft durchgesetzt. Auch das diskutieren wir in unserem Buch und wir versuchen zumindest ansatzweise alternative Entwicklungswege für die Zukunft aufzuzeigen.

    Was muss geschehen, um eine professionelle, auf journalistischen Maßstäben basierende, globale Kommunikation möglich zu machen?

    Die Massenmedien müssen sich aus der Umklammerung durch den Nationalstaat befreien. Ein transnationales Mediensystem – ein Weltmediensystem – gibt es ja bis heute überhaupt nicht. Die Vorzeigesender wie CNN oder Al-Jazeera sind alle fest in der Hand nationaler Eigentümer, die zwar einen globalen Anspruch hegen, im Grunde aber sehr deutlich ihre jeweiligen nationalen Agenden verfolgen. Wenn „journalistische Maßstäbe“ bedeutet, dass Medien die Welt objektiv betrachten sollten, dann müssen wir mehr, ausgewogener und viel kontextbezogener über die Welt berichten. Die „Domestizierung“ von Nachrichten, das zeigen wir in dem Handbuch, ist ein weltweit von Forscher*innen nachgewiesenes Phänomen, das überall ähnlich abläuft und hochgradig „schräge“ Weltbilder erzeugt. Komplizierte Prozesse wie den Aufstieg Chinas zur Weltmacht oder die kulturelle Bewältigung des Postkolonialismus in der islamischen Welt können wir so nicht verstehen. Eine Reform der Medien ist erforderlich, die nicht nur die journalistische Profession verändert (Stichwort interkulturelle Kompetenz und Ausbildung), sondern auch die Bindung der Medien an kapitalistische Absatzinteressen und den starken Einfluss staatlicher politischer Propaganda hinterfragt. Ein transnationales Mediensystem wäre hier ein Fernziel – eine stärkere Förderung einer kosmopolitischen Medienethik ein durchaus realistisches Nahziel.

    Autoreninformation:

    Prof. Dr. Kai Hafez ist Inhaber der Professur für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Vergleichende Analyse von Mediensystemen / Kommunikationskulturen an der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt.

    Dr. Anne Grüne ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Kommunikationswissenschaft der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt.

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