nachhaltigkeit

  1. "Nachhaltigkeit sollte zum Selbstverständnis gehören!"


    Wie man Nachhaltigkeit in die Unternehmenssteuerung integriert, das ist Thema Ihres Buches – mittlerweile in der vierten Auflage. Wie erklären Sie die rapide Entwicklung des Themas?

    Auch schon vor Jahren waren viele Manager überzeugt, dass man in der Nachhaltigkeit was machen müsse und dies auch dringend notwendig sei. Aber wie so häufig, reicht die reine Erkenntnis nicht aus, um auch tatsächliche Handlungen abzuleiten. Wir kennen aus unserem privaten Umfeld, dass regelmäßiges Sporttreiben oder eine bewusste Ernährung gesünder sind, aber es viele dennoch nicht machen. Und dass sich eine ganze Organisation ändert, ist nochmals schwieriger. Meist braucht es einen externen Anstoß, dass Menschen oder Organisationen sich tatsächlich anpassen – dann kann dies auch sehr schnell gehen.

    Bei der Nachhaltigkeit gaben insbesondere die jüngsten regulatorischen Vorschriften wie der EU-Taxonomie, der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) oder das Lieferkettengesetz einen Ausschlag für die rasante Entwicklung. Diese Berichtsanforderungen gehen so weit, dass Unternehmen nun tatsächlich aktiv werden müssen und die Nachhaltigkeit zunehmend professionell steuern. Aber auch Investoren, Beteiligungsgesellschaften und Banken üben vermehrt Druck aus, nachhaltig zu handeln. Diese haben erkannt, dass Nachhaltigkeitsrisiken den Erfolg ihrer Investitionen bedrohen.

    Welche großen Herausforderungen in Bezug auf nachhaltiges Unternehmertum kommen Ihrer Meinung nach in der nächsten Zeit auf Unternehmen zu?

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    Die Anforderung, über die Nachhaltigkeit zu berichten, stellt nur die erste und nicht die größte Herausforderung dar. Wenn man Kennzahlen extern berichtet, gewinnen diese auch intern im Management an Bedeutung. Die Herausforderung ist, das Unternehmen tatsächlich nachhaltig zu steuern und das bisherige Steuerungssystem um ökologische und soziale Ziele zu erweitern. Dies aufzuzeigen ist Ziel des Buches. Durch die komplexen Beziehungen zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielen ist es nicht damit getan, nur ein paar weitere Ziele aufzunehmen. Es geht auch um eine Anpassung des Geschäftsmodells, um eine kulturelle Weiterentwicklung, um den Umgang mit Stakeholdern bis hin zu einer optimalen IT-Unterstützung.

    Die EU-Richtlinie CSRD soll erstmals für das Geschäftsjahr 2024 Anwendung finden und allein in Deutschland rund 15.000 Unternehmen betreffen. Inwieweit findet dieses Thema in Ihrer Neuauflage Berücksichtigung?

    CSRD ist von zentraler Bedeutung für eine sehr große Anzahl von Unternehmen und war deshalb auch einer der Gründe für die umfassende Neubearbeitung. Unternehmen müssen nun über Dinge berichten, die sie bisher oft noch gar nicht kennen und erfasst haben. Auch die Auswirkungen auf die Unternehmenssteuerung sind weitreichend. Erstmals greift nun die sogenannte doppelte Materialität. Unternehmen müssen nicht nur erfassen, wie Nachhaltigkeitsaspekte auf das Unternehmen wirken, sondern sie müssen auch die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Nachhaltigkeitsaspekte erfassen. Dabei geht die Wirkung über die 15.000 Unternehmen sogar noch hinaus, da dies auch auf kleine Lieferanten und Geschäftspartner ausstrahlt.

    Sie haben in der 4. Auflage Ihr Werk stark umstrukturiert und ergänzt. Welche Aspekte sind Ihnen dabei besonders wichtig?

    Nachhaltigkeit ist mittlerweile so etabliert, dass auf eine umfassende Begründung und auch auf einige grundlegende Ausführungen mittlerweile verzichtet werden kann. Der Fokus wurde sehr viel stärker darauf gerichtet, wie Nachhaltigkeit in den Unternehmen umgesetzt werden kann. Der Druck durch die Regulatorik und durch die Investoren hat an Bedeutung gewonnen, ebenso die Steuerung der Treibhausgasemissionen und die Klimaproblematik. Manche Methoden haben an Bedeutung verloren, andere, wie etwa die Value Balancing Alliance, gewinnen an Bedeutung. Dies wurde entsprechend berücksichtigt. Schließlich gibt es mehrere weitere Themenfelder, die für ein Nachhaltigkeitscontrolling an Bedeutung gewinnen. Dies sind etwa die aus der Nachhaltigkeit resultierenden Risiken, die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle, die Digitalisierung, Green Finance oder auch die kulturelle Dimension.

    Was liegt Ihnen bei der Ausbildung der Controller:innen und Manager:innen der Zukunft besonders am Herzen?

    Controller:innen und Manager:innen sollten Nachhaltigkeit nicht als etwas Zusätzliches kennen lernen, das neben der traditionellen Betriebswirtschaft erlernt und umgesetzt werden muss. Die Steuerung von Unternehmen kann nur aus einem Guss erfolgen. Ziele und Maßnahmen müssen aufeinander abgestimmt sein. Irgendwann sollte auch in Controlling- und Management-Lehrbüchern eine nachhaltige Perspektive selbstverständlich sein und nicht nur in einem angehängten Kapitel erwähnt werden. Diese integrierte Sichtweise ist mir ein wichtiges Anliegen. Darüber hinaus sollte Nachhaltigkeit zum Selbstverständnis gehören. Rechtfertigen sollte sich nicht der, der nachhaltige Ziele setzt und Maßnahmen ergreift, sondern der, der es nicht tut. Anständiges und verantwortungsvolles Handeln würde zum Normalfall.

    Autoreninformation:
    Prof. Dr. Ulrich Sailer ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Er leitet den Masterstudiengang Controlling und beschäftigt sich insbesondere mit dem Nachhaltigkeitscontrolling und mit der Digitalisierung im Controlling.

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  2. Nachhaltige Betriebswirtschaft

    „Das Buch entwickelt die traditionelle BWL weiter, passt sie den gesellschaftlichen Entwicklungen in Richtung Nachhaltigkeit an, erklärt und bestimmt „Nachhaltige Betriebswirtschaft".“

    Controller Magazin März/April 2022

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  3. Kooperation und Verantwortungsübernahme sind der Königsweg


    Kooperation und Verantwortungsübernahme sind der Königsweg

    Fragen an Friedrich Glauner zu Alles neu. Geschäftsidee, Geschäftsmodell, Unternehmensgründung (UVK Verlag, 2021)

    Die Voraussetzung, um im unternehmerischen Bereich „alles neu“ aufzustellen, sei es, die mentalen Barrieren des heutigen ökonomischen Denkens hinter sich zu lassen. Welche Fallen stellt dieses Denken den Unternehmerinnen und Unternehmern?

    Egal, mit welcher Brille wir unser wirtschaftliches Handeln betrachten, das heutige ökonomische Denken dreht sich um vier Zentralbegriffe, namentlich um die Vorstellungen von Knappheit, Wettbewerb, Wachstum und Ertrag. Zusammengenommen prägen sie das mentale Modell, mit dem wir unsere wirtschaftlichen Austauschbeziehungen interpretieren. Es unterstellt, dass erfolgreiches Wirtschaften auf einem Wettbewerb gründet, bei dem der gestalterische Umgang mit knappen Mitteln bei jenen zu Erträgen und Wohlstand führt, die die prinzipiell unbegrenzten Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kund*innen wecken und besser befriedigen als die Konkurrenz. Im Bann dieser Begriffe besteht unternehmerischer Erfolg aus zwei Bestandteilen. Erstens aus dem Anheizen der Wünsche und Bedürfnisse potentieller Kund*innen. Zweitens aus der Schöpfung von Erträgen. Erträge entstehen aber dabei nur dann, wenn der Rückfluss aus den knappen Mitteleinsätzen höher ist als die zur Befriedigung der Kundenbedürfnisse eingesetzten Mittel.

    So weit, so gut. Das ökonomische Glaubensbekenntnis der Viereinigkeit von Knappheit, Wettbewerb, Wachstum und Erträgen führt uns jedoch in vier mentale Fallen, die unser ökonomisches Handeln prägen: Wer in Kategorien der Knappheit denkt, handelt in der Psychologie von Angst und Gier. Es wird gehortet! Wer in Kategorien des Ertrags denkt, handelt in der Logik der Externalisierung. Man lagert nach Möglichkeit die Kosten seines Handelns aus! Wer in Kategorien des Wettbewerbs denkt, handelt in der Logik der Selbstbezüglichkeit und konzentriert sich auf den eigenen Vorteil! Wer in Kategorien des Wachstums denkt, handelt in der Logik der Dominanz. Man möchte mehr und mehr für sich gewinnen!

    Aus diesen Fallen, die das ökonomische Denken uns stellt, ergibt sich das paradoxe Phänomen der destruktiven Wohlstandsmehrung. Es besteht darin, dass wir mit unserem Wirtschaften einen in der Weltgeschichte noch nie dagewesenen Wohlstand für viele erarbeitet haben, der jedoch für die Menschheit insgesamt mehr und mehr zur Bedrohung wird. Denn das Denken in Knappheit, Wettbewerb, Wachstum und Erträgen führt uns in ein individuell rationales und als solches auch oft höchst erfolgreiches Handeln, das auf der Ebene der globalen Gesamtsysteme zu einer sich immer schneller drehenden Negativspirale aus Beschleunigung, Disruption, Konzentration und Ressourcenraubbau führt.

    Die Wachstums- und Ertragslogik unseres heutigen Wirtschaftens selbst führt systematisch zu Raubbaueffekten, die wie die Tatbestände zunehmender Ungleichheit, des Klimawandels, des Artensterbens, des Verlustes von fruchtbaren Mutterböden und sonstiger lebensrelevanter Ressourcen eine Gefahr für den Fortbestand der Menschheit darstellen. Das beruht darauf, dass wir als emotionale Wesen in Zeiten drohender Krisen und Gefahren noch verstärkter in den Mustern und mentalen Fallen handeln, die uns das ökonomische Denken stellt.

    Als zentrales Problem des heutigen Wirtschaftens identifizieren Sie die Notwendigkeit, in gesättigten Märkten Waren und Dienstleistungen verkaufen zu müssen – Konsum um des Konsums willen. Wie können Unternehmen diesem Problem, dass sie nicht unbedingt geschaffen, sondern vorgefunden haben, entkommen? Worin besteht der Ausweg?

    Den Ausweg haben Bernd Villhauer und ich in „Alles neu“ zu skizzieren versucht: Er zeigt sich, wo wir unser ökonomisches Handeln am Konzept der „Ethikologie“ ausrichten. Als Tübinger Entwicklungsmodell zukunftsfähigen Wirtschaftens wurde es von mir am Weltethos-Institut in Tübingen entwickelt. Der für viele sicherlich ungewohnte Begriff „Ethikologie“ verknüpft das ethisch-moralische Konzept eines humanen Wirtschaftens, das sich mit Menschen in den Dienst der Menschen stellt, mit den ökologischen Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten ressourcenschöpfender Mehrwertketten, die die Austauschprozesse in der Natur prägen.

    Übertragen auf Unternehmen bedeutet „ethikologisch“ Wirtschaften, dass Unternehmen begreifen, dass auch sie lebende Systeme sind. Langfristig erfolgreich können sie in dieser Logik nur dann gedeihen, wenn sie ihre Leistungsprozesse an den Gesetzmäßigkeiten der Natur und des Lebendigen ausrichten. Das gelingt ihnen auch, wenn sie sich mit ihren Geschäftsmodellen nicht nur ökonomisch tragen, sondern mit ihren Leistungen dafür sorgen, dass die Ressourcenbasis aller das Unternehmen tragenden Sub-, Haupt- und Umgebungssysteme angereichert wird, aus denen heraus das Unternehmen lebt und wirkt. Kurz: Es gibt einen Ausweg aus dem ressourcenzerstörenden Konsumzwang, wenn wir in Produktions- und Konsumformen einschwenken, die auf den Ebenen der Mit-, Um- und Nachwelt zu Ressourcenschöpfungen führen.

    „Move fast and break things” war bis 2014 ein internes Motto bei Facebook, einem der erfolgreichsten Unternehmen der Geschichte. In ihrem Buch legen Sie Unternehmerinnen und Unternehmern nahe, auf Kooperation, Synergie, Symbiose und Achtsamkeit im Umgang mit der Mit-, Um- und sogar der Nachwelt umzuschwenken. Warum? Wie sollen sie dann noch Erfolg haben?

    Wer glaubt, dass sich langfristiger unternehmerischer Erfolg dort einstellt, wo Unternehmen im knappheitsfixierten Wettbewerb das Schumpetersche Prinzip der schöpferischen Zerstörung feiern und wie beispielsweise Facebook, Amazon und Co. mit disruptiven Geschäftsmodellen bestrebt sind, die Marktmacht auf sich alleine zu vereinen, sitzt der falschen Logik auf. Sie sägen dann nicht nur am ökonomischen Ast, auf dem sie sitzen, sondern legen damit auch die Axt an den Stamm und die lebensweltlichen Wurzeln an, von denen wir alle leben.

    Konkret: wenn wir weiter so wirtschaften und konsumieren wie bisher, droht uns aufgrund der ökologischen und sozialen Kosten des heutigen Ressourcenraubbaus der globale Kollaps. Wenn dieser eintritt, werden wir aufgrund unserer menschlichen Neigung, Konflikte und Nöte bevorzugt mit aggressiven und kriegerischen Mitteln lösen zu wollen, diesen Zusammenbruch möglicherweise noch beschleunigen. Dieses Schicksal ist uns aber nicht zwangsweise vorgezeichnet. Denn als vernunft- und sozialbegabte Wesen können wir uns auch anders entscheiden. Wir können uns darauf besinnen, dass Kooperation und Verantwortungsübernahme der Königsweg sind, wenn es gilt, komplexe Probleme und Gefahren zu bannen.

    Unternehmen, die sich für diese Tugenden entscheiden, finden im Paradigma ethikologischer Ressourcenschöpfung vielfältige Ansatzpunkte. Zu diesen gehören insbesondere alle nichtökonomischen Kapitalformen wie beispielsweise das im Unternehmen wirkende Bewusstseins-, Sinn- Sozial- und Wertekapital, mit dem die von jedem Unternehmen benötigten Motivations-, Kooperations- und Kommunikationsrenditen gehoben werden können.

    Als Gründe für den Kollaps von Gesellschaften führen Sie die Zerstörung der Ressourcengrundlage (die Kultur der Osterinseln) oder Ungleichheit an, die fatale Ausmaße angenommen hat (Französische Revolution). Mit der heutigen Weise des Wirtschaftens und der Wohlstandsproduktion steuern wir auf beide Kollapsfaktoren zu. Wie können Unternehmen dazu beitragen, beide Faktoren zu entschärfen?

    Ja, erstmals in der Geschichte der Menschheit schaukeln sich auf der Ebene der globalen Systeme Ressourcenraubbau- und Ungleichheitseffekte auf eine Weise auf, die zur Gefahr für die Globalgesellschaft wird. Dagegen helfen kann nur ein Wirtschaften, bei dem neben der unternehmerischen Primärnutzenstiftung Sekundärnutzenstiftungen im Fokus stehen, die auf den Ebenen der Mit-, Um- und Nachwelt drei Nutzendimensionen bedienen: die Gestaltung von Teilhabe-, von Befähigungs- sowie von Ressourcenschöpfungspotentialen, die auf den drei Ebenen zu tragfähigen Mehrwertstiftungen führen. Der Index für das Teilhabepotential beschreibt aus ökonomischer Sicht, wie viele Menschen aktiv in die Wertschöpfungsprozesse des unternehmerischen Leistungsversprechens eingebunden sind und davon profitieren. Der Index für das Befähigungspotential gibt Auskunft darüber, ob und wie ein Unternehmen mit seinen Leistungen und Prozessen zentrale positive menschliche Fähigkeiten wie beispielsweise Einfühlungsvermögen, Wissen, Können, Wollen, Bewusstsein, Verantwortungsübernahme, Kreativität, Lern- und Kooperationsbereitschaft befördern oder nicht. Und der Index für das Ressourcenschöpfungspotential eines Geschäftsmodells bemisst schließlich, ob und auf welche Weise ein Produkt, eine Dienstleistung oder ein Geschäftsmodell auf der Ebene der ökonomischen, sozialen, gesellschaftlichen und natürlichen Umgebungssysteme Mehrwerte und Ressourcen schöpft.

    Wo Unternehmen mit ihrem Leistungsversprechen – also ihren kundenbezogenen Primärnutzenstiftungen – zugleich auch auf der Ebene der Umgebungssysteme Teilhabe-, Befähigungs- und Ressourcenschöpfungspotentiale fördern, sorgen sie für ein Wachstum, dass mit unternehmerisch erfolgreichen Mitteln die heutigen Raubbauspiralen durchbrechen hilft.

    Kritiker*innen warnen vor dem Begriff des „grünen Wachstums“. In Ihrem Buch schlagen Sie jedoch ein Wachstum vor, dass sich nicht mehr als Raubbau an unseren sozialen und natürlichen Lebensbedingungen vollzieht, sondern als „Anreicherungsprozess“, der nicht verbraucht, sondern hinzufügt. Wie können wir uns dieses Wachstum vorstellen?

    Das beste Beispiel liefert uns die Natur selbst. Betrachten wir die Welt des Lebendigen mit dem Blick der Evolution, sticht folgendes Faktum ins Auge. 99 Prozent aller Arten, die im Verlauf der letzten rund 3,5 Milliarden Jahre gelebt haben, sind ausgestorben. Und das ohne unser Zutun. Zugleich ist die Mächtigkeit der dem Bereich des Lebendigen zur Verfügung stehenden Lebensbausteine kontinuierlich gewachsen. Dieses Paradox des Lebendigen erschließt sich wie folgt. Die Natur wirft über kurz oder lang alle Arten aus dem System, die nicht dazu beitragen, den Ressourcengrundstock des Gesamtsystems kontinuierlich anzureichern. An Bienen, Hummeln und Schmetterlingen ist das leicht sichtbar. Die ökologische Gesamtleistungsbilanz ihrer Bestäubungstätigkeit übersteigt bei weitem das, was sie daraus für sich und ihre Brut ziehen. Ein weiteres Beispiel ist der Beginn des Lebens vor rund 3,5 Milliarden Jahren. Er setzte ein mit der Entstehung von zunächst anaeroben Bakterien. In der damaligen Ursuppe verstoffwechselten diese Bakterien Stoffe so, dass dabei der Lebensbaustein Sauerstoff entstand. Aus ihm sowie weiteren organischen und anorganischen Stoffen erwuchs dann die Grundlage, aus der heraus sich alles weitere Leben entfaltete. Auch heute noch ist die Photosynthese der größte stoffliche Ressourcenschöpfungsprozess, bei dem in jedem Zyklus mehr und neue Lebensbausteine geschöpft werden, die die Basis für Lebendiges sind.

    Dass dieser Prozess der Ressourcenschöpfung auch auf Unternehmen übertragen werden kann zeigen die vielen Beispiele in „Alles neu“. Stellvertretend für sie ist der Babynahrungshersteller Hipp in Pfaffenhofen. Landwirtschaftsbetriebe, die an Hipp liefern wollen, müssen einen von Hipp vorgegebenen Anbau- und Bearbeitungsprozess einhalten. Er ist so ausgelegt, dass der Ackerboden mit jedem Pflanzzyklus nährstoffreicher wird und wächst. Das steht diametral den meisten der heutigen Anbaumethoden gegenüber, bei denen in vielen Fällen die Ackerböden immer mehr auslaugen. Das Beispiel von Hipp veranschaulicht deshalb, dass ressourcenschöpfende Anbaumethoden und ökonomisch höchst erfolgreiche Ertragserzielung die beiden Seiten der gleichen Erfolgsmedaille sind.

    Was wir daraus lernen können, ist das Kernanliegen von „Alles neu“. Wir können unsere Zukunft sichern, wenn wir als Einzelne wie auch als Gesellschaften und Unternehmen die Logik lebender Systeme mit der betriebswirtschaftlichen Logik der Unternehmung als prozessorientiertem Steuerungssystem so verknüpfen, dass der Prozess der Werte- und Ressourcenschöpfung ins Zentrum der Unternehmensentwicklung rückt. Wo das der Fall ist, schwenken Unternehmen in ein Wirtschaften ein, das mit ressourcenschöpfenden Geschäftsprozessen dazu beiträgt, dass wir als Menschheit eine gedeihliche Zukunft haben.

    Quelle: Das Interview wurde erstmalig auf dem Online-Portal des philosophischen Wirtschaftsmagazins agora42 (Blog | agora42) veröffentlicht.

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  4. Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie: Merkel fordert mehr Tempo!


    Am 10. März 2021 hat das Bundeskabinett die Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. Kanzlerin Merkel fordert im Rahmen der Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2021 mehr Tempo bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele.

    Was bringt die Nachhaltigkeitsstrategie Weiterentwicklung 2021?

    Auf diese Frage antwortet unser Autor Prof. Dr. Michael von Hauff als ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftspolitik und internationale Wirtschaftsbeziehungen an der TU Kaiserslautern. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Umwelt- und Entwicklungsökonomie.

    Auf dem Nachhaltigkeitsgipfel 2019 hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen Antonio Guterres weltweit die „Decade of Action and Delivery for Sustainable Development“ ausgerufen. Das begründet er damit, dass die Gefahr besteht, – besser: sich abzeichnet – dass Ziele der Agenda 2030 verfehlt werden. Im März dieses Jahres erschien die deutsche „Nachhaltigkeitsstrategie Weiterentwicklung 2021“, in der diese Befürchtung ebenfalls klar zum Ausdruck kommt. Während das Vorwort der bisherigen Ausgaben zur Nachhaltigkeits-strategie durch ein „Lob der guten Taten“ gekennzeichnet war, kommt die Bundesregierung zu einer beachtlichen und wünschenswerten Ehrlichkeit.  Im Vorwort stellt die Bundeskanzlerin Merkel fest:

    „Um die Ziele der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und der Agenda 2030 zu erreichen, müssen wir den Weg einer wirklich anspruchsvollen Transformation gehen, der wichtige Bereiche wie Energie, Kreislaufwirtschaft, Wohnen, Verkehr, Ernährung und Landwirtschaft umfasst. In Deutschland wollen wir mit der Weiterentwicklung unserer Nachhaltigkeitsstrategie und insbesondere mit Bildung, Forschung und Innovationen den Transformationsprozess voran-bringen.“

    Zunächst ist festzustellen, dass die Weiterentwicklung 2021 durchaus positive Impulse enthält. Ein neuer Akzent sind die politischen Maßnahmen in Reaktion auf die Corona-Krise die auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene an der Agenda 2030 und ihren globalen Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet werden muss. Weiterhin wurde das vielfach zitierte Prinzip aus der UN-Resolution von 2015 explizit hervorgehoben: „leave no one behind.“ Eine wichtige, aber nicht ganz neue Forderung, ist jene nach mehr Kohärenz in der Politik. Positiv zu werten ist auch die weitere Ausdifferenzierung der Strategie: Die Weiterentwicklung 2021 enthält nun 72 Indikatoren und Ziele in 39 Bereichen und wurde somit im Verhältnis von ursprünglich 63 Indikatoren deutlich erweitert. Es kamen seit der Aktualisierung 2018 folgende Indikatoren hinzu:

    Globale Pandemie-Prävention, Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst des Bundes, Väterbeteiligung beim Elterngeld, Breitbandausbau, Kulturerbe/Zugang zum Kulturerbe und weltweiter Bodenschutz

     Ein weiterer wichtiger Akzent ist die Nennung von Transformationsbereichen. In ihnen werden mehrere Ziele zusammengeführt, indem die Wechselwirkungen der Ziele betont werden. Das soll an dem zuerst genannten Transformationsbe-reich verdeutlicht werden: Transformationsbereich Menschliches Wohlbefinden und Fähigkeiten zur sozialen Gerechtigkeit verknüpft die SDGs 1, 3, 4, 5, 8, 9 und 10.

    Es gibt aber auch die Fortschreibung von Inkonsistenten. Um diese anzugehen bzw. auszuräumen benötigt die Bundesregierung mehr Mut. Das soll an einem aktuellen Problem verdeutlicht werden. In dem Sustainable Development Goal 8 wird ein „dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum“ gefordert. Der Indikator ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. In der Literatur wird seit der ersten deutschen Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahr 2002 kritisiert, dass das BIP pro Kopf nicht den Anforderungen nachhaltiger Entwicklung entspricht, da weder die ökologischen noch die sozialen Effekte berücksichtigt werden. In dem Ziel 13 werden „umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels“ gefordert. Dabei ist hinreichend bekannt, dass mehr Wachstum, wie es wegen der zunehmenden wirtschaftlichen Probleme durch die Pandemie gefordert wird, den Klimawandel verschärft. Die Konsequenz daraus wäre, dass neben den Indikator Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Nationale Wohlfahrtsindex (NWI) gestellt wird. Da das BIP pro Kopf schneller steigt als der NWI sollte analysiert werden, welche Gründe hierfür vorliegen. Hier könnte dann die nachhaltige Politikkohärenz umgesetzt werden.

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