sozialemedien
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Veröffentlicht: Februar 06, 2023|Kategorien Medienwissenschaft|Tags: vernarrtinwissen , uvkverlag , utb_verlag_studium , sozialemedien , saferinternetday , novitaeten , medienwissenschaft , medienkompetenz , medien , interview , internet
Am heutigen „Safer Internet Day“ wird bundesweit zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet aufgerufen. Unser Autor Manuel Puppis von "Medienpolitik" ist Professor für Medienstrukturen und Governance am Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Freiburg (Schweiz). Im Interview spricht er über Gefahren der Algorithmen und warum Medienkompetenz kein Ersatz für Regulierung ist:
Beim Thema Medienkompetenz geht es häufig um Kinder und Jugendliche und die Verankerung im Schulunterricht. Warum ist das so? Und was ist mit Erwachsenen?
In der Tat steht beim Thema Medienkompetenz häufig der Schutz von Kindern und Jugendlichen im Mittelpunkt. Ziel ist es, Minderjährige auf Situationen vorzubereiten, in denen sie mit nicht-altersgerechten oder problematischen Inhalten und Verhaltensweisen in konfrontiert werden. Da es im Internetzeitalter nicht möglich ist, den Zugang von Kindern und Jugendlichen zu sämtlichen für sie ungeeigneten Inhalten zu verhindern, kommt einem reflektieren Umgang mit Medien und Onlineplattformen eine große Bedeutung zu. Es geht also um mehr als nur die Fähigkeit, technische Geräte zu bedienen, sondern Medienkompetenz umfasst ein Verständnis der Funktionsweise und der gesellschaftlichen Bedeutung mit Medien und Plattformen. Darunter fallen beispielsweise Fragen der Finanzierung, der Prozesse der Inhaltsproduktion, der Personalisierung von Inhalten mittels Algorithmen oder des Datenschutzes.
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Der Schule kommt bei der Förderung von Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen eine zentrale Rolle zu. Nur über die Schule werden Kinder und Jugendliche unabhängig von Bildungsschicht und sozialem Hintergrund der Eltern erreicht. Gleichzeitig ist aber zu bedenken, dass das Bildungssystem mit rivalisierenden Ansprüchen konfrontiert ist. Um eine Überforderung von Lehrpersonen zu verhindern, können Ergänzungen wie Peer-Education-Projekte oder die Einbindung von Gastreferent:innen in den Unterricht sinnvoll sein.
Das Thema Medienkompetenz betrifft aber alle Altersgruppen, nicht nur Kinder und Jugendliche, die noch zur Schule gehen. Auch Erwachsene brauchen Kompetenzen zum Umgang mit Medien und Onlineplattformen. Aber genauso wie der Zugang zu Medien unter Internet in der Gesellschaft ungleich verteilt ist, unterscheiden sich auch die Möglichkeiten zum Umgang mit Medien und damit zur souveränen Lebensgestaltung und politischen Teilhabe in der digitalen Gesellschaft je nach sozialer Klasse, Gender, Race oder Alter teilweise deutlich.
Deshalb ist die Medienkompetenzförderung auch eine zentrale Aufgabe der Medien- und der Bildungspolitik.
Welche Gefahren entstehen durch die Digitalisierung und insbesondere durch auf Big-Data-Modellen basierende Algorithmen?
Zuerst einmal: Die Digitalisierung bietet viele Chancen, und zwar nicht nur wirtschaftliche. Durch das Internet und Onlineplattformen sind neue Möglichkeiten zur Information, Diskussion und Partizipation, aber auch zur kreativen Produktion eigener Inhalte entstanden.
Es ist aber richtig, dass die Inhalte, die uns als Nutzer:innen auf Onlineplattformen wie Facebook, YouTube oder TikTok angezeigt oder empfohlen werden, durch Algorithmen ausgewählt werden. Die im Auftrag von Plattformen programmierten Algorithmen bestimmen also, welchen Nutzer:innen welche Inhalte angezeigt werden und welche nicht. Diese algorithmische Selektion unterscheidet sich von der Selektionslogik von Massenmedien. Dies bringt drei Probleme mit sich. Erstens könnten Algorithmen verzerrte Resultate liefern, ein sogenannter «Bias», weil die verwendeten Daten bereits Verzerrungen enthalten, wie eine Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder Hautfarbe oder weil in die Programmierung bestimmte Werte eingeflossen sind. Dadurch können Algorithmen bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten reproduzieren. Zweitens sind die Plattformen, welche die Programmierung dieser Algorithmen in Auftrag geben, gewinnorientierte Unternehmen. Algorithmen sollen deshalb Inhalte ausspielen, welche die Nutzer:innen möglichst lange auf der Plattform halten, um deren Aufmerksamkeit dann an Werbetreibende aus Wirtschaft und Politik verkaufen zu können. Diese Inhalte müssen aber gesellschaftlich nicht sonderlich relevant sein. Und drittens ist selten transparent und nachvollziehbar, wie die zum Einsatz kommenden Algorithmen funktionieren und weshalb bestimmte Resultate zustande kommen.
Deshalb muss Medienkompetenz heute auch ein Verständnis der Funktionsweise von Plattformen umfassen, beispielsweise ihrer Geschäftsmodelle, der Verwendung von Daten oder der Bedeutung von Algorithmen.
Medienkompetenz ist offensichtlich von großer Bedeutung. Ist es damit also getan?
Der Medienkompetenzförderung kommt die zweifelhafte Ehre zu, als von allen Akteuren akzeptierte Lösung für alle Arten medienpolitischer Probleme propagiert zu werden – wer kann schon gegen kompetente Nutzer:innen sein?
Es besteht aber auch die Gefahr, dass damit alle Probleme individualisiert werden. Zum einen werden die Nutzer:innen auf ihre Rolle als Konsument:innen reduziert. Gesellschaftliche Fragen wie Kommunikationsrechte oder die Partizipation von Bürger:innen werden hingegen vielfach ausgeblendet. Zum anderen findet eine Verantwortungsverschiebung zu den einzelnen Nutzer:innen statt. Statt Medien- und Plattformunternehmen mit Regulierung in die Pflicht zu nehmen, sollen die Nutzer:innen sich selbst vor Risiken der Mediennutzung schützen.
Doch so zentral Medienkompetenz auch ist, sie ist kein Ersatz für Regulierung. Medienkompetenzförderung und andere medienpolitische Maßnahmen wie die Sicherstellung eines starken öffentlichen Rundfunks, die Förderung von Journalismus, Beschränkungen von Medienkonzentration und Eingriffe in demokratieunverträgliche Geschäftsmodelle und Algorithmen von Plattformen müssen miteinander kombiniert werden.
Mehr in "Medienpolitik" (Manuel Puppis), 3. Auflage, ISBN 978-3-8252-4378-4
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Veröffentlicht: Juli 01, 2022|Kategorien Medienwissenschaft|Tags: werbung , vernarrtinwissen , uvkverlag , sozialemedien , medienwissenschaft , medien , interview , influencermarketing , influencer
Der "Sniper" als zielsicherer Scharfschütze oder die kreative "Mamabloggerin"? Der Medien- und Kommunikationswissenschaftler und Social-Media-Experte Dr. Frederik Weinert charakterisiert in seinem Buch "Hexendoktor, Sniper oder Sexgöttin" die unterschiedlichen Influencer-Typen und gibt Tipps, wie Unternehmen das für ihr Image nutzen können:
Influencer:innen sind die neuen Werbestars. Warum sind sie glaubhafter als viele klassische Promis?
FW: Influencer:innen entwickeln so etwas wie eine Freundschaft zu den Fans. Diese starke soziale Bindung beeinflusst die Kaufentscheidungen, daher auch die Bezeichnung Influencer Marketing. Die digitalen Werbestars interagieren emotional mit den Fans, schicken Herzchen und stehen den Fans mit Rat und Tat zur Seite. Auf diese Weise sind Influencer:innen wertvolle Bezugspersonen, die teilweise einen größeren Einfluss auf das echte Leben haben als Eltern, echte Freunde oder der Hausarzt. Die Gefahr ist, dass Influencer:innen in den Sozialen Medien oft nur eine Show abziehen bzw. sich so verhalten, wie es die Fans erwarten. Das ist allerdings nicht verwunderlich, denn ein Blick ins klassische Fernsehen zeigt, dass auch dort Stars wie Thomas Gottschalk, Elton oder Oli Pocher immer lustig sind. Genau wie Fernsehstars bauen sich Internetstars ein verlässliches Image auf. Das ist harte Arbeit und kein Zufall. Es ist eine Strategie, und diese Strategie gepaart mit starker sozialer Bindung und fachlicher Expertise macht die Influencer:innen glaubwürdiger als klassische Promis.
Wie erklären Sie sich als Medienwissenschaftler den Hype um Influencer:innen, also einem „Idol“, dem man folgt? Welches psychologische bzw. soziale Motiv vermuten Sie dahinter?
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FW: Influencer:innen zeigen sich sexy, interessant und einzigartig. Allein das wirkt auf viele Menschen sehr anziehend. Die Internetstars sind allesamt erfolgreich, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Es ist normal, dass sich Menschen an Mentoren wenden, z. B. an Arbeitskolleg:innen oder Vorgesetzte, die eine größere Expertise haben. Durch gezielte Adaption versucht der Mensch, sich seinen Vorbildern anzupassen, ihnen nachzueifern. Außerdem mögen Menschen das Gefühl, Anerkennung zu erhalten. Wenn Internetstars öffentlich auf Instagram mit einem Fan schreiben, entsteht ein Glücksgefühl, eine Form von Wertschätzung. Außerdem erfüllen Influencer:innen soziale Bedürfnisse wie Freundschaft und Zugehörigkeitsgefühle. Diese Community macht süchtig, was dazu führt, dass Fans den Handlungen und Handlungsanweisungen des Idols folgen. Das betrifft Verhaltensweisen und Kaufentscheidungen sowie Weiterempfehlungen. Unternehmen und Marken tun deshalb gut daran, mit Influencer:innen zu kooperieren, z. B. in den Bereichen Mode, Tourismus und Technik. Eine Kooperation erhöht sowohl die Reichweite als auch den Absatz.
Was raten Sie Unternehmen, die noch keine Erfahrung mit Influencern haben? Wie finden sie die richtige Person?
FW: Die Lokalpresse studieren. Da gibt es immer wieder Berichte über regionale Influencer:innen, die interessant sein könnten. Es ist außerdem wichtig, selbst zu schauen, ob es passende Gesichter in den Sozialen Medien gibt, die zur Marke passen, z. B. über Hashtags und Suchfunktionen. Mein neues Buch „Hexendoktor, Sniper oder Sexgöttin. Wie Unternehmen die Zusammenarbeit mit Influencer:innen optimieren“ ist die optimale Entscheidungshilfe, sowohl für Unternehmen als auch für Influencer:innen. Das Buch zeigt, welche Influencertypen es gibt, welche Stärken sie haben und wie die erste Kontaktaufnahme gelingt.
Welcher Ihrer zehn Influencer-Typen ist Ihnen persönlich am sympathischsten?
FW: Ich mag den Guru als digitalen Trendsetter, weil ich mich selbst sehr für Technik und Innovation interessiere. Technik-Influencer sind meistens sehr kompetent und glaubwürdig. Außerdem gefällt mir das Tattoogirl als Influencertyp, weil diese weiblichen Internetstars mit ihrer brachialen Ästhetik optimal spielen und dadurch sehr stark auffallen und sich perfekt für alternative Marken eignen. Ziemlich cool finde ich das Alien als Paradiesvogel unter den Internetstars, weil dieser Influencertyp ideal zu neuen Marken und starken Start-ups passt, die sich etwas trauen. Ich kann versprechen, dass für jedes Unternehmen ein passender Influencertyp dabei ist, beispielsweise die Mamabloggerin für Kindernahrung, Drogerieartikel usw. oder Clown als Komiker, der jedes Produkt und jede Dienstleistung als Erlebnis darstellt.
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Veröffentlicht: Juli 01, 2021|Kategorien Medienwissenschaft|Tags: vernarrtinwissen , utb_verlag_studium , sozialemedien , politik , medienethik , medien , kommunikation , interview , globalisierung , gesellschaft
Ein Interview mit Dr. Anne Grüne und Prof. Kai Hafez von der Universität Erfurt über die Blockaden der globalen Kommunikation
Gibt es eigentlich schon eine funktionierende „Globale Kommunikation?“
Die gibt es durchaus, und zwar in allen Feldern: in den klassischen Medien, in sozialen Medien ebenso wie in der grenzüberschreitenden Interaktion von politischen Systemen, im Bereich der Wirtschaftskommunikation wie auch in der weiteren Gesellschaft und zwischen Individuen, im Alltag, im Tourismus usw. Das Problem ist aber, dass sich Umfang und Qualität der Kommunikation nicht so einheitlich positiv entwickeln, wie oft gedacht wird, wenn davon die Rede ist, dass wir in einem „Zeitalter zunehmender globaler Vernetzung“ leben. Mythos und Realität vermischen sich hier stark und in vielen Bereichen bleibt unsere globale Kommunikationsfähigkeit hinter den dynamischen Austauschbeziehungen gerade im globalen Wirtschafts- und Warenverkehr zurück. Eine Welt vernetzt sich, mit der wir aber nicht immer hinreichend im Austausch stehen. Daraus entsteht bei vielen Menschen Unverständnis und Widerstand – eine Sprachlosigkeit, die gerade rechte politische Kräfte für sich zu nutzen suchen, wenn sie ihre neonationalistischen Projekte betreiben. Die kommunikative Bewältigung des globalen Wandels gelingt nur sehr begrenzt. Wir zeichnen diese Probleme theoretisch nach und versuchen, den empirischen Forschungsstand darzulegen. Wir glauben, dass ein solcher Überblick nötig ist, um die Fort- wie auch die Rückschritte der globalen Beziehungen besser zu verstehen.
Wer sind die Träger dieser Kommunikation?
In unserem Buch sprechen wir hier zum Teil von globalen Informations- und Kommunikationseliten, die wir von den oft stärker lokal verhafteten Menschen abgrenzen. Wir verwenden dabei keinen traditionellen Elitenbegriff, sondern einen dynamischen. Elite kann jede/r sein, Sie, ich, wir, gerade die neuen digitalen Medien eröffnen hier neue Chancen. Der Elitenbegriff weist aber durchaus darauf hin, dass globalen Kommunikationskompetenz auch eine Ressource von Macht ist, die durchaus gleichwertig mit den klassischen Kapitalsorten wie „Gewalt“ und „Kapital“ sein kann. Hier liegt aber zugleich aus unserer Sicht ein Problem, da die Fixierung auf „Medien“ – Presse, Rundfunk, digitale und soziale Medien – als Träger der globalen Moderne – in sozialen Bewegungen, in Lebenswelten und zunehmend auch in politischen Institutionen – die direkte zwischenmenschliche Kommunikation immer mehr in den Hintergrund drängt. Unsere Analyse zeigt aber, dass in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft globale Kommunikation de facto in hohem Maße auf diesen direkten Begegnungen basiert und diese Welt in nicht geringem Maße stabilisiert – man denke nur an die klassische Diplomatie. Die Vorstellung einer zunehmenden und wünschenswerten Mediatisierung von Globalisierung bietet daher neben Chancen auch zahlreiche Risiken. Wir beobachten diese Welt mehr als dass wir mit ihr interagieren. Wir bilden eine Weltgesellschaft, die zugleich ohne einen Weltstaat auskommen muss und in der wir möglicherweise eher die Potentiale großer und kleiner Weltgemeinschaften im Blick behalten sollten, die durch direkte Interaktion entstehen können: mit „dem Fremden“ reden statt über ihn oder sie; den anderen als theoretisches Subjekt ernst nehmen, statt ihn oder sie nur als empirische Evidenzmasse zu behandeln. Die Blockaden der globalen Kommunikation entstehen auch durch eine Technik- und Medienfixierung der Moderne, die eine Aneignung des Globalen in letzter Instanz unmöglich macht.
Stehen nicht unterschiedliche kulturelle Konzepte von Gesellschaften und der Kommunikation in ihnen einer funktionierenden globalen Kommunikation entgegen?
Genau das halten wir für völlig unbelegt und wissenschaftlich überholt. „Kultur“, „Nation“ und „Religion“ werden kommunikativ konstruiert und wenn kulturelle und rassistische Feindbilder existieren hat dies am Ende wenig mit einer mythologisierten Essenz – einem vermeintlichen asiatischen, westlichen, islamischen Wesen usw. – und vielmehr mit konkreten Akteuren und ihren Interpretationen und Deutungen der Welt zu tun. Es gibt am Ende keine einheitlichen Identitäten, sondern bestenfalls kommunizierte Stereotope, die uns eine Unvereinbarkeit der Welt suggerieren wollen. Gerade die großen Institutionen wie die Massenmedien spielen hier eine Rolle als hochproblematische Weltbildapparate, die uns zu oft eine chaotische Außenwelt suggerieren und dabei im Grunde vor allem ihre eigenen Vorurteile und die ihrer Politiker*innen und Mediennutzer*innen widerspiegeln. Die weißen Flecken unserer Nachrichtengeographie sind unglaublich beharrlich und lassen auch in der Moderne uralte Klischees hochgradig virulent erscheinen. Ob „böse Chinesen“, „faule Griechen“ oder „fanatische Muslime“: wir kriegen das alles jeden Tag frei Haus in unser Wohnzimmer geliefert, wir verstehen es aber oft nicht. Natürlich gibt es auch exzellente Auslandsberichterstattung – aber Umfang und Qualität könnten oft besser sein und die ehemalige revisionistische Haltung, dass die Massenmedien – und übrigens auch die Sozialen Medien – an der Globalisierung strukturell scheitern, hat sich längst als neue orthodoxe Lehrmeinung in der Wissenschaft durchgesetzt. Auch das diskutieren wir in unserem Buch und wir versuchen zumindest ansatzweise alternative Entwicklungswege für die Zukunft aufzuzeigen.
Was muss geschehen, um eine professionelle, auf journalistischen Maßstäben basierende, globale Kommunikation möglich zu machen?
Die Massenmedien müssen sich aus der Umklammerung durch den Nationalstaat befreien. Ein transnationales Mediensystem – ein Weltmediensystem – gibt es ja bis heute überhaupt nicht. Die Vorzeigesender wie CNN oder Al-Jazeera sind alle fest in der Hand nationaler Eigentümer, die zwar einen globalen Anspruch hegen, im Grunde aber sehr deutlich ihre jeweiligen nationalen Agenden verfolgen. Wenn „journalistische Maßstäbe“ bedeutet, dass Medien die Welt objektiv betrachten sollten, dann müssen wir mehr, ausgewogener und viel kontextbezogener über die Welt berichten. Die „Domestizierung“ von Nachrichten, das zeigen wir in dem Handbuch, ist ein weltweit von Forscher*innen nachgewiesenes Phänomen, das überall ähnlich abläuft und hochgradig „schräge“ Weltbilder erzeugt. Komplizierte Prozesse wie den Aufstieg Chinas zur Weltmacht oder die kulturelle Bewältigung des Postkolonialismus in der islamischen Welt können wir so nicht verstehen. Eine Reform der Medien ist erforderlich, die nicht nur die journalistische Profession verändert (Stichwort interkulturelle Kompetenz und Ausbildung), sondern auch die Bindung der Medien an kapitalistische Absatzinteressen und den starken Einfluss staatlicher politischer Propaganda hinterfragt. Ein transnationales Mediensystem wäre hier ein Fernziel – eine stärkere Förderung einer kosmopolitischen Medienethik ein durchaus realistisches Nahziel.
Autoreninformation:
Prof. Dr. Kai Hafez ist Inhaber der Professur für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Vergleichende Analyse von Mediensystemen / Kommunikationskulturen an der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt.
Dr. Anne Grüne ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Kommunikationswissenschaft der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt. -
Veröffentlicht: Juni 01, 2021|Kategorien Marketing|Tags: werbung , werbestrategie , werbemaßnahmen , vernarrtinwissen , uvkverlag , sozialemedien , marketing , interview
Vor einem Jahr ist Ihr Buch „Werbung, die Sie sich sparen können“ erschienen – was können Sie heute UnternehmerInnen für Ihre Werbung anderes raten als damals?
Mein Rat bleibt gleich. Hatten Sie in der Krise finanzielle Einbußen, dann haben Sie den Reflex, erstmal total zu sparen. Dagegen habe ich nichts, denn bei den Werbekosten sollten Sie immer gut überlegen, ob teure Maßnahme wirklich etwas bringen. Marketing ist ja kein Sprint, den man mal eben mit einer superteureren Knaller-Aktion gewinnt. Werben bedeutet ein stetes öffentliches Bewegen, mit dem man immer neu Aufmerksamkeit für das eigene Angebot erzeugt. Dabei folgt man idealerweise einem strategischen roten Faden, den man bei mir bekommt oder sich mit dem Buch selbst erarbeiten kann. Grundsätzlich sind es oft die kleinen, feinen Werbemaßnahmen, mit denen Sie punkten. Zum Beispiel das Restaurant, das nicht einfach nur eine Liste mit den kommenden Mittagsmenüs bei Facebook postet, sondern Bilder von leckeren Zutaten oder fertigen Menüs. Das weckt Appetit!
Was tut man also, wenn man jetzt mit der Werbung neu loslegen will?
Wer jetzt verstärkt die Werbetrommel rühren will, hat die Aufgabe nicht nur zu informieren „Wir sind wieder offen“. Das freut zwar Sie als UnternehmerIn und auch die Stammkundschaft, aber gerade neue KundInnen brauchen mehr Anreiz zum Geldausgeben als nur Freude oder Solidarität. Machen Sie mit Bildern in Anzeigen oder Videos online neu Lust auf Ihr Angebot oder Ihre Produkte.
Nach mehr als einem Jahr Corona gibt es langsam wieder Aussicht auf Normalität. Holt man jetzt seine alte Werbung wieder hervor oder braucht es neue Werbekonzepte?
In Vielem können Sie weitermachen wie vorher. Die Bedarfe und Wünsche sind ja weiterhin da oder kommen schnell zurück wie die Nachfrage nach Festsälen, Hotelzimmern oder Theaterkarten. Allerdings muss man seine Werbung auch ein Stückweit verändern. Denn: Wir alle sind sensibler geworden durch die Corona-Erfahrung. Das hat zwei Werbe-Trends enorm verstärkt: mehr Echtheit und mehr Verantwortung. Das Echte zeigt sich z.B. darin, dass das unmittelbare „Du“ sich 2020 sehr weit in der Kommunikation durchgesetzt hat, weil es mehr Nähe schafft. Gleichzeitig wird es nach der Corona-Erfahrung noch positiver wahrgenommen, wenn Unternehmen öffentlich und in ihrer Arbeitsweise mehr Verantwortung übernehmen. Das zeigt sich in ökologischeren Verpackungen oder Zutaten quer durch alle Branchen – ob bei Autos oder Rasierern, bei Dienstleistung oder Ernährung.
Gibt es durch Corona eine Veränderung in Bezug auf die Werbe-Instrumente?
In der Krise wollte niemand Flyer mitnehmen. Da konnte man sich das Drucken und Auslegen sparen. Doch das kommt wieder. Dafür waren alle online. So ist es beispielsweise für lokale Einzelhändler, Veranstalter und Gastronomen sinnvoll, sich auch nach Corona in den sozialen Medien weiter aktiv zu zeigen, wie es viele nur unter dem Druck der Krise zum ersten Mal gemacht haben. Damit würde ich jetzt nicht aufhören. Der kurzfristige Sommertrend, Masken oder Hygieneprodukte zum Werbemittel mit Logo zu machen, den sehe ich allerdings als beendet an.
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Gespräch über Influencer Marketing mit Autorin, Beraterin und Dozentin
Ob Julien Bam, Pamela Reif oder Gronkh: Influencer sind schillernde Persönlichkeiten, die gerade auf Kinder und Jugendliche eine besondere Faszination ausüben. Was ist ihr Erfolgsgeheimnis? Warum wollen immer mehr Unternehmen mit ihnen kooperieren? Und was können sich Lehrkräfte von ihnen „abschauen“? Darüber und über die Zukunft der Influencer-Branche sprach Madeleine Hankele-Gauß vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg mit Julia Kost, Autorin des Buchs „Influencer Marketing“, Beraterin für digitales Marketing bei Mercedes-Benz Consulting und Dozentin an der Hochschule der Medien Stuttgart (HdM).
Meinungsführer, Experte oder Unternehmer: Was macht einen Influencer aus?
Influencer sind sehr vielseitig und viele sind alles ein bisschen – Unternehmer sind allerdings nicht alle. Den digitalen Influencer, der im engeren Sinne gemeint ist, macht einmal aus, dass er in den sozialen Medien präsent ist und dort eine gewisse Reichweite und Berühmtheit erlangt hat. Das bedeutet, dass sie oder er auch über eine Community [d.h. eine Gemeinschaft von Nutzerinnen und Nutzern, die gemeinsame Interessen und Werte teilt, Anm. d. Red.] verfügt, mit der sie oder er in regelmäßigem Austausch steht. Dies liegt daran, dass Influencer als Personen mit Autorität zu einem bestimmten Thema wahrgenommen werden – entweder durch veröffentlichte Inhalte oder Kompetenzen, manchmal auch nur durch Engagement oder Motivation.
Worin liegt das Erfolgsgeheimnis von Influencern? Warum üben sie gerade auf Kinder und Jugendliche eine besondere Faszination aus?
Als schillernde Persönlichkeiten, die Selbstvertrauen ausstrahlen, bieten Influencer für alle Altersklassen eine Identifikationsfläche. Dadurch, dass sie so viel von sich und ihrem Leben preisgeben, wirken sie glaubwürdig: Man hat das Gefühl, sie zu kennen. Meistens sind sie auch modern, probieren neue Sachen aus und inspirieren andere auf diese Weise. Gerade für Kinder und Jugendliche können sie so zu wichtigen Identifikationsfiguren werden, da sie aktiv auf der Suche nach Vorbildern sind. Influencer treten in der Regel dort in Erscheinung, wo junge Menschen sich ausprobieren, im sogenannten Poplife. Das können Momente, Menschen oder Orte sein, die ein bestimmtes Image, bestimmte Wünsche, Geschmäcker und Hobbys reflektieren. Mit ihrer Authentizität und Persönlichkeit schaffen Influencer es hier, andere mitzureißen.
Entsteht für erfolgreiche Influencer irgendwann ein Spagat zwischen Professionalität und dem Ziel, für die Community noch authentisch zu wirken?
Ja, total, ich würde aber sogar sagen, das ist der Spagat, den alle Influencer machen müssen. Gerade die sozialen Medien verleiten dazu, sich selbst besonders positiv darzustellen. Dazu gibt es aber auch Gegenbewegungen, die für mehr Natürlichkeit und Blicke hinter die Kulissen stehen. Trotzdem bleibt das Gezeigte ein Ausschnitt einer Person, die nur das von sich preisgibt, was sie preisgeben möchte. Einige Influencer tappen dabei in die Falle, zu viel zwischen verschiedenen Marken hin- und herzuwechseln und diese als ihre jeweilige Lieblingsmarke darzustellen.
Als Sie an Ihrem Buch zu Influencer Marketing gearbeitet haben: Was war die für Sie überraschendste Erkenntnis zum Thema?
Überraschend für mich war, dass viele Influencer, die nach gängiger Definition Influencer sind, sich selbst gar nicht so bezeichnen möchten. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass Influencer in den Massenmedien in letzter Zeit ein schlechtes Image bekommen haben: Ihnen wird vorgeworfen, ihr Schaffen sei unprofessionell, Fake und keine richtige Arbeit. Deswegen definieren die einen sich über das Format. Sie bezeichnen sich nicht als Influencer, sondern als Blogger/-in oder Podcaster/-in. Andere nennen Influencer nur als eines von mehreren Standbeinen, wie zum Beispiel Unternehmer/-in, Autor/-in oder Coach.
„Influencer sind erfolgreich damit, sehr viel persönlich und auf Augenhöhe zu kommunizieren“
Beim Stichwort Influencer denken die meisten an Beauty, Lifestyle und Fitness – zum Beispiel in Person von Pamela Reif. Doch die Bandbreite von Influencern ist hoch. Welche Typen von Influencern unterscheidet die Forschung?
So richtig einig ist sich die Forschung nicht. Viele nehmen die Followerzahl als eine Achse zur Unterscheidung von Influencern, die ein mehrstelliges Millionenpublikum erreichen, von denen, die nur eine begrenzte Reichweite haben. Die meisten Wissenschaftler/-innen unterscheiden auch zwischen „Poplife“ und „Dailylife“ – also Influencern, die moderne Lifestylethemen aufgreifen und eher die soziale Seite von sich zeigen, und solchen, die sich als Experten alltäglichen oder Nischenthemen widmen. Die Word of Mouth Marketing Association kennt zudem noch die Kategorie der „Professionals“, die durch ihr berufliches Auftreten Einfluss auf eine große Zahl von Menschen haben. Darunter fiel in der Vergangenheit zum Beispiel der Unternehmer Steve Jobs.
Was können sich Lehrkräfte, Pädagoginnen und Pädagogen von Influencern „abschauen“, um Bildungsangebote zeitgemäß zu gestalten?
Vorneweg: Nicht jede Lehrkraft muss können, was ein Influencer kann. Dafür ist es einfach zu komplex. Influencer sind erfolgreich damit, sehr viel persönlich und auf Augenhöhe zu kommunizieren. Was immer gut funktioniert, sind außerdem Interaktionen und Challenges. Auf den Bildungskontext übertragen könnten das kreative Aktivitäten wie die eigene Gestaltung von Videos sein. Was man von Influencern dazu auf jeden Fall mitnehmen kann: Video müssen nicht perfekt sein. An sich ist es auch eine gute Idee, einfach mal Schüler/-innen danach zu fragen, welchen Influencern sie folgen und aus welchem Grund. Und wenn man Themen bearbeitet, könnte man auch einmal typische Influencer-Formate in den Unterricht aufnehmen, also eines ihrer Videos oder Podcasts anschauen und kritisch „auseinandernehmen“.
Wie sieht das Geschäftsmodell von Influencern aus?
So unterschiedlich Influencer sind, so unterschiedlich sind die Arten, wie sie ihr Geld verdienen – wenn sie überhaupt Geld verdienen. Manche verstehen sich auch als Blogger mit journalistischem Anspruch und schließen daher bezahlte Kooperationen aus. Stattdessen gehen sie Tauschgeschäfte ein, bei denen sie im Gegenzug für Berichterstattung Informationen erhalten. Das kann zum Beispiel eine Einladung zu einer Produktvorstellung sein. Viele Influencer verdienen ihr Geld jedoch über Werbung. Darunter fallen Werbeformate wie YouTube-Videos, Banner-Werbung auf Webseiten oder Affiliate Links. Das sind Links zu beworbenen Produkten. Sobald jemand auf diesen Link klickt und das Produkt kauft, erhält der Influencer dafür eine kleine Provision. Dazu kommen bezahlte Kooperationen mit Unternehmen. Die Entlohnung hierfür kann entweder ein Honorar für das Hochladen eines Videos oder das Posten eines Beitrags sein. Sie kann aber auch erfolgsbasiert nach Anzahl der Views oder Klicks erfolgen.
„Transparenz gehört zu den größten Herausforderungen beim Influencer Marketing"Was versprechen sich Unternehmen von der Zusammenarbeit mit einem Influencer im Gegensatz zum Einsatz klassischer Werbemedien?Für Unternehmen ist sie auf jeden Fall eine Möglichkeit, andere Zielgruppen zu erreichen: neue oder jüngere Zielgruppen. Außer der Reichweite versprechen sie sich Imageeffekte und einen Storytelling-Ansatz – also Marketing, das nicht wie Marketing aussieht. Man spricht auch von Pull-Marketing: Ein Unternehmen lässt sich von potenziellen Kundinnen und Kunden finden. Es möchte, dass die Leute über das Unternehmen stolpern. Das Gegenteil davon ist Push-Marketing, zum Beispiel in Form von großflächiger Plakatwerbung. Um sich im Bereich des Pull-Marketing zu positionieren, eignen sich Influencer gut, da sie kreativer und greifbarer wirken als das Unternehmen selbst.
Haben Sie ein Beispiel für eine gelungene oder auch eine misslungene Kooperation zwischen Unternehmen und Influencern?
Ungeschickt ist es, wenn Unternehmen versuchen, Blogger oder YouTuber zu unterbinden. Es gibt zum Beispiel einen Influencer namens „Held der Steine“, der einen Spielwarenladen hat und viele Videos über Lego macht. Die Firma Lego wollte ihn abmahnen, weil er die Marke in seinen Videos nennt. Das ging natürlich nach hinten los, denn die Community des Influencers kann in solchen Fällen auch unangenehm werden. Positive Beispiele gibt es hingegen ganz viele. Ich folge zum Beispiel Isabel Kraus auf Instagram. Sie ist im Bereich Fitness unterwegs und entwickelt eigene Produkte, zuletzt eine Babytrage. Sie arbeitet mit verschiedenen Unternehmen zusammen und diese Kooperationen wirken nie aufdringlich, da sie sich für die beworbenen Themen selbst interessiert oder die Produkte im Alltag benutzt.
Gerade für die Hauptzielgruppe Kinder und Jugendliche ist es häufig schwer zu beurteilen, ob ein Influencer Werbung für ein Produkt macht oder es aus freien Stücken empfiehlt. Welche Rolle spielt Transparenz beim Influencer Marketing?
Transparenz gehört zu den größten Herausforderungen beim Influencer Marketing. Leider gibt es wenig Rechtssicherheit dazu. Es ist schwierig für die Influencer, zu wissen, was wie gekennzeichnet werden muss – selbst, wenn sie alles richtig machen wollen. Vielleicht haben sie ein Produkt kostenlos zugeschickt bekommen, sind aber gleichzeitig wirklich Fan einer Marke und äußern ihre ehrliche Meinung zu einem Produkt: Müssen sie einen Beitrag dann als Werbung kennzeichnen oder nicht? Leider gibt es daher unter Influencern einen Trend dazu, zu viel zu kennzeichnen. Das macht es im Ergebnis noch undurchsichtiger. Das geht so weit, dass manche Influencer bereits den Hinweis „Anzeige, weil Markennennung“ nutzen, wenn sie nur irgendwo in einem Beitrag das Wort „Cola“ benutzen und das als Werbung interpretiert werden könnte.
Wenn Sie drei Prognosen zur Zukunft von Influencern abgeben müssten, welche wären das?Die allererste ist: Influencer werden uns erhalten bleiben. Zweitens werden die medialen Grenzen stärker verschwimmen. Influencer, die aus Social Media bekannt sind, werden immer stärker in anderen Medien wie Fernsehen, Zeitungen oder dem Buchmarkt vorkommen. Ich hoffe außerdem, dass sich die Influencer-Branche weiter professionalisieren wird, das heißt, dass sich Standards zur Werbekennzeichnung und journalistischen Sorgfaltspflicht definieren lassen. Es wäre schön, wenn sich nach dem Vorbild des Pressekodex eine „Netiquette fürs Internet“ herausbilden würde, der sich Influencer selbst unterlegen und bei Verstößen dann auch abgemahnt werden könnten. Dem spielt in die Hände, dass auch Influencer erwachsen werden und durch veränderte Lebensumstände – zum Beispiel als Eltern – ein anderes Verantwortungsbewusstsein entwickeln.
Das Interview wurde erstmalig am 31.03.2021 auf dem Online-Portal des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg (www.lmz-bw.de) veröffentlicht.