sprachwissenschaft

  1. Wenn Bilder zu Wörtern werden – Interview mit Dr. Laura Drepper


    Im neuen Band „Ebenen des Narrativen in Bildimpulsen und Erzähltexten“ werden Wirkungspotentiale von Bildern empirisch untersucht. Es zeigt sich, dass die Bildgestaltung Einfluss auf den narrativen Sprachgebrauch nimmt und bei visuellen Erzählimpulsen berücksichtigt werden sollte. Dr. Laura Drepper von der Universität Paderborn über ihre Ergebnisse:

    Welche Arten von Bildergeschichten haben Sie untersucht?

    In meiner Arbeit habe ich mich mit gezeichneten Bildern beschäftigt, die eine Geschichte erzählen. Im Vordergrund stehen zwei Bildergeschichten: Eine selbstgezeichnete Bildergeschichte, die sich an typischen Bildergeschichten aus Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien anlehnt, und eine Bildergeschichte aus Ausschnitten des textlosen Bilderbuchs „Die Torte ist weg!“ des niederländischen Illustrators Thé Tjong-Khing. Am Ende der Arbeit werden Bilderbücher vorgestellt, die für unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten von Bildern stehen, z.B. das Bilderbuch „Die Fundsache“ von Shaun Tan. Dieses Bilderbuch zeichnet sich dadurch aus, dass sehr wenige Merkmale enthalten sind, die auf realistische Konzeptionen und Strukturen unserer Lebenswelt zurückzuführen sind.

    Was sind Ihre zentralen Erkenntnisse? Wie müssen Bilder gestaltet sein, damit sie höheren Erzählanreiz haben?

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    Der Vergleich der Erzählungen zu einer selbstgezeichneten Bildergeschichte – angelehnt an Bildergeschichten aus Schulmaterialien – und der Bildergeschichte aus dem textlosen Bilderbuch „Die Torte ist weg!“ zeigt, dass ein Kind eine bessere Erzählung ausgehend von Bildern aus „Die Torte ist weg!“ verfasst: Die Erzählungen weisen mehr grammatische Narrationsmarker (z.B. Präteritum) auf, eine umfassende Darstellung der fiktiven Erzählwelt (z.B. durch die Einführung von Figuren, Raum und Zeit), eine stärkere narrative Struktur durch den Aufbau von Orientierung, Komplikation und Auflösung sowie einen häufigeren Gebrauch von poetisch-evozierenden Sprachgebrauchsmustern (z.B. die Verwendung von literarischen Sprachformen wie Eines schönen Sommermorgens ergab es sich, dass…). Die beiden Bildergeschichten unterscheiden sich in ihrer Gestaltung: Die selbstgezeichnete Bildergeschichte hat einen stärkeren Bezug zur alltäglichen Lebenswelt (z.B. Geburtstag feiern), die Bildergeschichte zu „Die Torte ist weg!“ ist stärker phantastisch gestaltet und ästhetisch ansprechender. In sprachlich-narrativen Lernprozessen sollten daher phantastisch gestaltete und ästhetisch anspruchsvolle Bilder eingesetzt werden, da sie für Kinder einen höheren Erzählanreiz haben. Um Bilder auf ihr Potential als Erzählanlass zu analysieren, kann das abgeleitete Gestaltungskontinuum genutzt werden: Bilder mit einer starken Ausprägung der visuellen Narration und einer magischen Gestaltung der Handlungen, Figuren und Räume bieten für Kinder einen hohen Erzählanreiz.

    Sie sprechen von einem „Gestaltungskontinuum“, das Sie festgestellt haben. Worin besteht das?

    Das Gestaltungskontinuum für narratoästhetische Bilder erfasst vier Kategorien der Bildgestaltung: Die Ausprägung der visuellen Narration, die Handlungsdarstellung, die Figurendarstellung und die Raumdarstellung. Die visuelle Narration differenziert zwischen einer starken und schwachen Ausprägung für die Gestaltung der visuellen Erzählinstanz, der Verwendung von bildkompositorischen Narrationsmarkern und der Verwendung von bildinhaltlichen Narrationsmarkern. Mit der visuellen Erzählinstanz werden Merkmale wie die Einstellung oder Perspektive auf das Bild erfasst. Bildkompositorische Narrationsmarker beinhalten z.B. die Darstellung von Bewegungsabläufen durch eine schräge oder gerade Haltung der Figuren. Und mit bildinhaltlichen Narrationsmarkern werden beispielsweise visuelle Leitmotive, die als roter Faden immer wieder in der Geschichte auftauchen, bestimmt.

    Das Kontinuum zur Darstellung der Handlung, der Figuren und des Raums erstreckt sich von einer lebensweltlichen zu einer phantastischen Gestaltung und wird durch drei bzw. vier Abstufungen ausdifferenziert. Alle drei Darstellungsformen (Handlung, Figuren, Raum) können entweder literarisiert, fingiert oder magisch sein: Literarisierte Darstellungen repräsentieren etwas real Geschehenes, wie z.B. die Erfindung der Glühbirne durch Edison oder die bildliche Darstellung einer Figur als Einstein. Fingierte Darstellungen erfüllen die Konzeptionen der Realität, verweisen aber nicht auf etwas explizit Stattgefundenes. Als fingierte Handlung könnte z.B. der Diebstahl einer Torte auf einer Geburtstagsfeier visualisiert werden. Eine magische Darstellung greift auf phantastische Konzeptionen zurück, z.B. das Fliegen auf einem Teppich oder ein Dorf aus fliegenden Schiffen. Zusätzlich zu den drei Darstellungsformen können personifizierte Figuren, wenn Tiere oder Gegenstände vermenschlicht werden, sowie minimalistische Räume angeführt werden. Von einem minimalistischen Raum kann gesprochen werden, wenn nur durch wenige Elemente, wie einzelne Gräser oder einen einzelnen Baum, das räumliche Umfeld angedeutet, aber nicht vollständig skizziert wird. Für die verschiedenen Abstufungen werden anhand aktueller Bilderbücher prototypische Beispiele gegeben, die als Orientierung für die Analyse von Bildern dienen sollen.

    Wenn Sie eine Checkliste für Lehrende für die Praxis aus den Erkenntnissen der Studie zusammenstellen würden: Welche Punkte würden Sie darin aufnehmen?

    •         Die Gestaltung der Bilder nimmt Einfluss auf die Erzählfähigkeiten der Kinder.

    •         Bilder sollten bewusst ausgewählt werden, wenn sie als visuelle Erzählanlässe fungieren.

    •         Nicht alle Bilder stellen einen geeigneten visuellen Erzählanlass dar.

    •         Bilder in sprachlich-narrativen Lernprozessen sollten phantastisch gestaltet und ästhetisch anspruchsvoll sein.

    •         Bilder aus (textlosen) Bilderbüchern können sich sehr gut als Erzählanlass in sprachlich-narrativen Lernprozessen eignen. 

    •         Das Angebot von Bildergeschichten über szenische Bilder zu einzelnen Bildimpulsen bietet die Möglichkeit zur Differenzierung.

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  2. Toxische Sprache und geistige Gewalt

    „Monika Schwarz-Friesel hat ein kluges, kenntnisreiches und aufklärerisches Buch geschrieben […]“

    Kirsten Serup-Bilfeldt, DLF Kultur "Aus der jüdischen Welt" 03/2023

    „Dieser Studie seien viele Leser gewünscht – von Pädagogen, über Staatsanwälte und Richter bis zu Polizeichefs und last but not least Politiker. […]"

    Elvira Grözinger, weltexpresso.de, 03/2023

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  3. Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ)

    "Es ist ein weites Spektrum unterschiedlichster didaktisch-methodischer Möglichkeiten abgebildet, das sowohl für die weitere theoretische Auseinandersetzung, z. B. im Kontext von Inklusion unzählige Anregungen gibt als auch einlädt, in der konkreten Schul- und Unterrichtspraxis Ideen umzusetzen und ggf. zu evaluieren."

    Quelle: Verband Sonderpädagogik e.V., Dez. 2022

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  4. "Judenfeindliche Sätze sind geistiges Gift!"


    Wie Stereotype in unserer Sprache seit zwei Jahrtausenden auch unsere Einstellungen zu Menschen prägen. Welche Folgen das hat. Und warum wir endlich etwas dagegen tun sollten. Interview mit der Antisemitismus- und Sprachforscherin Monika Schwarz-Friesel:

    Sie sprechen von einem Gift, das die Köpfe vernebelt und Hass sät ....

    MSF: Der Name dieses Giftes lautet Antisemitismus. Oder, noch klarer ausgedrückt: Es ist der Judenhass. Dieses Gift ist seit Jahrhunderten Bestandteil der westlichen DNA, des europäischen Kultur-Genoms. Es schleicht sich in vielen Fällen unbemerkt ein, vergiftet aber durch beständige Dosierung. Und durch den globalen digitalen Austausch weist seine massenhafte Ausbreitung ein noch nie gewesenes Ausmaß auf.

    Sie erkennen Antisemitismus in unsere Sprache als alltäglich. Welche Beispiele gibt es dafür?

    MSF: Es ist der Autofahrer, der einen Radfahrer in Berlin im Vorbeifahren als „Du Jude!“ beschimpft. Der Student, der auf die Frage nach dem Aussehen eines anderen Studierenden sagt „der mit der jüdischen Nase“. Die Dozentin, die vom „jüdischen Landraub in Palästina“ spricht. Die Fußballfans, die „Juden-Jena, Juden-Jena“ grölen. Die alte Dame, die vom „scheußlichen Judenzopf“ ihrer Enkeltochter berichtet, einer „hässlichen verfitzten Spliss-Frisur“. Es ist der Postbote, der vom „jüdischen Geld-Klein-Klein“ eines Kollegen berichtet, der Pfarrer, der von der mildtätigen verzeihenden Ethik des Christentums spricht und wie diese den „alttestamentarischen Rachegedanken ablöste“. Der Beispiele gibt es viele!

    Sie sagen, die toxische Struktur ist Teil der kulturellen Grundsubstanz unserer Gesellschaft, vor allem aber auch unseres kommunikativen Gedächtnisses. Woran machen Sie das fest?

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    MSF: Es waren Sprachstrukturen, die über die Jahrhunderte hinweg von Generation zu Generation das Bild „der Juden“ prägen. Ihre Macht und ihre Wirkung werden bis heute unterschätzt. Zudem gibt es zahlreiche süße Ummantelungen durch Begriffe wie „Meinungsfreiheit“, „Diskursvielfalt“ oder „Kritik“, die die toxische Semantik verschleiern. Das Phänomen abzutun mit „Es ist nur Sprache und keine reale Gewalt“ verkennt nicht nur die entscheidende Rolle der Sprache bei der Entstehung, Weitergabe, Verbreitung und Speicherung judenfeindlichen Gedankenguts, sondern auch ihr Vorbereitungspotenzial für non-verbale Gewalt. Gewalt entsteht immer im Kopf.

    Warum ist es so wichtig, dass man die Rolle der Sprache beim Antisemitismus in den Mittelpunkt der Aufklärung und Bekämpfung stellt?

    MSF: Wir müssen uns nicht nur wegen der Attentäter, Bombenleger, Synagogen-Attentäter, Denkmal- und Friedhofsschänder oder der Flaggenverbrenner sorgen, sondern auch wegen der Sprachtäter und geistigen Brandstifter. Sie sind es, die das Gift immer wieder von Neuem in die Welt tragen und es mit jeder judenfeindlichen Sprachhandlung konsolidieren und intensivieren.

    Wo sitzen Ihrer Erfahrung nach die Giftmischer? Ist das ein besonderes Merkmal für radikale Kreise?

    MSF: Es sind keineswegs nur die Ränder der Gesellschaft, die uns Sorgen bereiten müssen. Denn sie sind nicht der alleinige Nährboden für judenfeindliche Gedanken und Gefühle. Die Geschichte der Judenfeindschaft zeigt: Es waren und sind stets die Gebildeten aus der Mitte, die einflussreich als Vordenker und geistige Giftmischer agieren. Das antisemitische Ressentiment mit seinen Facetten der Abneigung und des Hasses wird weiter gegeben durch die Sprachgebrauchsmuster der Mitte. Diese trägt es in die sozialen Ecken, diese bestätigen die Radikalen, geben ihnen geistige Nahrung.

    Sie stellen fest, dass viele Produzenten judenfeindlicher Äußerungen sich nicht im Klaren darüber sind, dass sie antisemitische Gedanken artikulieren. Wie konnte Antisemitismus so tief in die Alltagssprache eindringen?

    MSF: Die toxische Bedeutung von Wörtern schleicht sich oft unbemerkt in unseren Geist ein, sie hinterlässt aber Spuren, löst Assoziationen aus, prägt zum Teil langfristig Einstellungen und Gefühle. Das geistige Gift des judenfeindlichen Ressentiments kam vor 2000 Jahren durch die Verdammungsrhetorik der frühen Kirchengelehrten in die Welt. Es breitete sich von dort aus, nahm zeitgemäße Elemente in seine Substanz auf und wurde über die Jahrhunderte hinweg fester Bestandteil des Denk- und Lebensraumes.

    Was muss geschehen, damit die Kette des sprachlichen und kulturellen Antisemitismus endlich durchtrennt wird? Was sind Ihre Forderungen an unsere Gesellschaft?

    MSF: Sprache zu benutzen ist geistige Herrschaftshandlung. Entsprechend ist Sprachgebrauch Macht- und Gewaltausübung. Eine Sprache zu benutzen bedeutet, Geist in die Welt zu tragen. Dieser Geist, die Semantik von Wörtern, Sätzen und Texten, kann Welt abbilden oder Welt erschaffen, kann gravierende Auswirkungen auch für die physische Realität haben. Mit den Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke geben wir Impulse in die Köpfe unserer Mitmenschen. Diese können positiv oder negativ, freundlich oder feindselig sein. Judenfeindliche Äußerungen sind geistiges Gift. Wir tragen dafür die Verantwortung. Wir entscheiden. Wir wählen die Wörter aus.


    Die Autorin:
    Monika Schwarz-Friesel ist eine international führende Expertin auf dem Gebiet Antisemitismus und Sprache. Die Kognitionswissenschaftlerin ist Ordinaria und Fachgebietsleiterin am Institut für Sprache und Kommunikation der TU Berlin.

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  5. Performativität: Sprachen lernen mit dem ganzen Körper


    Unterricht körperlicher gestalten und erfahrungsbasiertes Lernen ermöglichen – Prof. Dr. Doreen Bryant und Prof. Dr. Alexandra L. Zepter, Autorinnen von "Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ)", erklären im Interview, warum diese Aspekte des performativen Lernens auch oder gerade im Bereich des Erwerbs von Deutsch als Zweitsprache zunehmend in den Blick rücken:

    Warum sind performative Zugänge besonders geeignet für das sprachliche bzw. zweitsprachliche Lernen?

    Der größte Pluspunkt von performativen Zugängen ist, dass sie ─ durch den stärkeren Einbezug des eigenen Wahrnehmens, Fühlens und Handelns, durch die Betonung von kreativen und spielerischen Aspekten ─ oftmals mehr Schüler:innen ansprechen, motivieren und mitnehmen ─ auch solche, die sich in einem ‚klassischen‘ Sprachunterricht, in dem alle Schüler:innen auf ihren Plätzen sitzenbleiben, eher schwertun. Darunter sind viele Schüler:innen, die wir im Rahmen von Sprachfördermaßnahmen vielleicht gerade erreichen möchten. Außerdem eignen sich performative Zugänge auch deshalb besonders für heterogene Gruppen, weil ein eher ganzheitlich orientiertes und kreatives Arbeiten viele Möglichkeiten für Differenzierung bei gleichzeitig gemeinsamem inklusivem Lernen eröffnet.

    Sie beziehen sich in Ihrem Buch auf Embodiment-Theorien. Warum und wie stellen sie eine theoretische Grundlage für performative Zugänge zu sprachlichem Lernen dar?

    Sprache ist ja grundsätzlich ein großartiges Instrument. Wir können, wenn wir eine Sprache gut beherrschen, über alles Mögliche sprechen ─ über das, was wir in der Welt wahrnehmen, was wir erfahren haben, was wir uns vorstellen, was wir fühlen etc.

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    Nach dem so genannten Erfahrungsspurenansatz ─ ein Ansatz aus dem Spektrum der Embodiment-Theorien ─ sind die Prozesse, die kognitiv ablaufen, wenn wir etwas wahrnehmen, wenn wir uns bewegen und handeln, nicht kategorisch verschieden von den mentalen Prozessen, die involviert sind, wenn wir über Wahrnehmungen, Handlungen, Bewegungen etc. sprechen. Wenn wir z.B. ein Wort wie ‚Flugzeug‘ sprachlich verarbeiten, dann werden mental ‚Spuren‘ von zurückliegenden Erfahrungen aktiviert, in denen wir vielleicht ein Flugzeug am Himmel gesehen, nach oben gezeigt, es gehört haben und so weiter. Generell geht man in Embodiment-Theorien davon aus, dass der Körper und mit ihm Sinneswahrnehmung, Bewegung, Emotionen eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Kognition und Sprache spielen.

    Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, auch beim Sprachunterricht mit Konzepten und Methoden zu arbeiten, die reale Wahrnehmungen, körperlich durchgeführte Handlungen, Bewegungen etc. beim Lernen stärker mit einbeziehen und derart quasi als Verstärkung wirken und den Zugang zum sprachlichen Lerngegenstand erleichtern ─ z.B. durch handlungsbegleitendes Sprechen, durch die Kombination von sprachlichem Lernen und Bewegung und/oder Rollenspiel.

    Ihr Buch trägt den Titelzusatz: „Ein Lehr- und Praxisbuch“. Wie gelingt Ihnen die Verknüpfung von Theorie und Praxis?

    Das Buch besteht aus zwei Teilen, die eng miteinander verlinkt sind. Im ersten Teil geben wir Einblicke in die theoretischen Grundlagen ─ kognitionstheoretisch, spracherwerbstheoretisch, sprachwissenschaftlich und sprachdidaktisch ─ und wir haken auch genauer nach, was unter dem Begriff der Performativität und des performativen Zugangs zu verstehen ist. Da es ein Lehrbuch ist und sich sowohl fürs Selbststudium als auch für die Seminar- und Workshop-Arbeit eignen soll, gibt es generell viele begleitende Aktivierungs- und Lernaufgaben. Der zweite Teil des Buchs schlägt dann die Brücke zur Praxis und wird hier sehr konkret. Wir stellen insgesamt 13 verschiedene performative Zugänge vor ─ wobei wir auf der einen Seite die klassischen sprachlichen Lernbereiche Mündlichkeit und Schriftlichkeit adressieren, auf der anderen Seite aber auch performativitätsbezogen verschiedene Schwerpunkte setzen: z.B. sprachliches Lernen mit Rhythmus und Musik, durch Bewegung, durch Handeln, mit Dramapädagogik/Theaterspiel.

    Und wie konkret sind die praktischen Anregungen im Teil II?

    Sehr konkret. In jedem Kapitel gibt es ein Unterrichtsbeispiel ─ in der E-Library dazu passendes Unterrichtsmaterial und einen digitalen Stundenverlauf. So sind die Unterrichtsentwürfe ohne viel Aufwand sofort einsetzbar. Wir haben bereits Rückmeldungen von einigen Lehrkräften erhalten, die die Beispiele umgesetzt und erprobt haben. Zu unserer Freude sind alle sehr begeistert. Auch hier haben wir das Feedback erhalten, dass sich durch die performativen Zugänge viele Schüler:innen persönlich angesprochen und auf ihren jeweils individuellen Sprachlernständen „abgeholt“ fühlen und dass der Unterricht „leichter“ wird, weil er mehr Freude macht.

    Enthält das Buch auch Anregungen für Schülerinnen und Schüler, die noch über keine oder nur geringe Deutschkenntnisse verfügen?

    Ja, durchaus. Man denke zum Beispiel an die Schüler:innen aus der Ukraine. In Folge des Krieges sind ja seit Februar mehr als 90.000 Kinder und Jugendliche vom deutschen Schulsystem aufgenommen worden. Sie müssen nun sehr schnell die deutsche Sprache lernen, um auch am Fachunterricht teilnehmen zu können. Die performativen Zugänge des Buches nehmen sowohl alle schulischen Altersstufen von der (frühen) Grundschule über die Sekundarstufen bis hin zur Berufsschule in den Blick als auch alle Sprachniveaustufen. Ein Kapitel zum Spracheinstieg in der Grundschule nutzt z.B. Bilder, Bilderbücher und Emotionen als Erzählimpulse, ein anderes Kapitel setzt auf dramagrammatisches Arbeiten in Alphabetisierungskursen mit (jungen) Erwachsenen. Allgemein können die Vorschläge natürlich auch weitergedacht und für andere Gruppen adaptiert werden; auch dazu gibt es Anregungen.

    Sind die methodischen Vorschläge Ihres Buches ausschließlich auf den Sprachunterricht zugeschnitten?

    Keineswegs. Auch der sprachsensible, sprachbildende Fachunterricht kann von den methodischen Anregungen profitieren. Exemplarisch wird dies im Buch u.a. für die Kunst des Debattierens im Rahmen des Geographieunterrichts, für Rhythmicals im Musikunterricht und für den Einsatz verschiedener Inszenierungstechniken (auch) im Fachunterricht Deutsch aufgezeigt.   

    Gibt es weitere Aktivitäten, die in naher Zukunft zum Thema Performativität geplant sind?

    Ja, das Thema ist zu unserer großen Freude sehr angesagt und nachgefragt. Allein in den nächsten drei Monaten finden einige sprachdidaktisch bedeutsame Veranstaltungen statt, auf denen wir Inhalte des Buches präsentieren werden:

    Am 24. Juni 2022 tagt die Lehramtsinitiative der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaften (DGfS) an der Universität Tübingen zum Thema „Performative Zugänge zu DaZ und Sprachbildung im Fach“. Hier sind wir an drei Workshops beteiligt: 1) Performativ-ästhetische Dimensionen des generativen Schreibens; 2) Handlungsorientierter Sprach- und Schriftgebrauch (HOSS); und 3) Dramagrammatik: Einsatzmöglichkeiten und Variationen. Noch gibt es ein paar freie Plätze ─ bei Interesse kann man sich unter mehrsprachigkeit@ds.uni-tuebingen.de melden und über die gebührenfreie Fortbildung informieren lassen und für einzelne Workshops anmelden.

    Am 1./2. Juli 2022 sind wir dann an der Universität Leipzig und gestalten im Rahmen der Grammatikdidaktik-AG der deutschdidaktischen Gesellschaft Symposion Deutschdidaktik (SDD) einen Workshop zu performativen Konzepten grammatischen Lernens in der Zweitsprache.

    Und vom 15. bis 20. August 2022 findet in Wien die Internationale Tagung der Deutschlehrer:innen (IDT) statt, an der wir mit einem Vortrag zu sprachförderlichen Potenzialen von Inszenierungstechniken teilnehmen.

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  6. Streit um Wörter


    Immer wieder werden in Politik und Gesellschaft teils heftige Debatten um die richtigen Wörter geführt. Beispielsweise darüber, ob mit Lehrer auch Lehrerinnen gemeint sind oder ob Wörter wie Mohr und Zigeuner verboten werden müssen. Die dialogische Analyse ausgewählter Streitpunkte will weder harmonisieren noch dominieren, sondern wesentliche Argumentationslinien anschaulich und nachvollziehbar machen. Die Publikation hilft, Tendenzen der Sprachentwicklung zu verstehen und eigenes und fremdes Sprachhandeln zu beurteilen, Ablehnungen oder Mitvollzug von Entwicklungen auf Sachkenntnis zu gründen. Unsere Autorin Dr. Christine Römer vom Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Universität Jena im Gespräch über „Streit um Wörter“:

    Was hat Sie an diesem Thema vor allem interessiert?

    Der Streit um richtige, angemessene Benennungen wird sowohl in der Linguistik, Journalistik als auch der Öffentlichkeit erbittert geführt. Mein Interesse gilt dabei den Fragen, wie man den aktuellen Disput um die „richtigen Wörter“ entschärfen und in einen Dialog überführen kann; wie man kommunikative Kompetenz erreichen kann, die beinhaltet, dass Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen als notwendig zu betrachten sind. Andere Meinungen akzeptieren, schließt auch das Akzeptieren der Verwendung anderer Benennungen ein, natürlich nur, wenn sie nicht als Waffen, um sprachlich zu diskriminieren, verwendet werden.

    Sie nennen Beispiele für umstrittene Wörter: Können Sie uns am Beispiel von „Mohr“ oder „Zigeuner“ zeigen, wie man den Streit beilegen kann?

    M.E. kann man den Streit nicht beilegen, jedoch konstruktiv-kritische Sprachreflexionen initiieren. Dazu gehört, unterschiedliche Positionen anhören und mit linguistischen Methoden hinterfragen. Es gehört auch dazu, nach den Ursachen vertretener Positionen zu forschen und Auswirkungen verlangter Veränderungen aufzeigen. Bei dem Beispiel „Mohr“ hilft eine Analyse der Wortverwendung weiter.

    Das Wort „Mohr“ ist schon lange in der deutschen Sprache und bezeichnete bereits im Mittelalter Menschen mit dunkler Hautfarbe (´dunkelhäutiger Bewohner Mauretaniens´) und ist heute veraltet. Dass es wie „Neger“ eine rassistische und verletzende Stigmatisierung von Menschen mit dunkler Hautfarbe vornehme, wie Aktivisten in Berlin als Begründung in einer Petition zur Umbenennung der U-Bahn-Station Mohrenstraße darlegten, nehmen nicht alle an. Auch nicht alle nehmen eine Bedeutungsgleichheit von Neger und Mohr an. In der Thüringer Stadt Eisenberg findet alljährlich im Juni das „Eisenberger Mohrenfest“ statt (https://www.mohrenfest.de/), das sich auf eine Heimatsage um einen Mohr beruft, der auch Teil des Eisenberger Stadtwappens und historisch positiv konnotiert ist, weshalb der Bürgermeister, der Stadtrat und die Einwohnerschaft auch der Meinung sind, dass „Mohr“ eine positive Bedeutung habe. Auch die umstrittene Berliner Mohrenstraße hat die Benennung „Straße der/des Mohren“ nicht mit abwertender Absicht erhalten. Das statistisch erhobene Wortprofil von „der Mohr“ im Wörterbuch „Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute“ (DWDS)  (https://www.dwds.de/wb/Mohr#wp-1) zeigt, dass „Mohr“ heute nicht in abwertenden Kontexten verwendet wird. Am häufigsten wird es als Teil der Redensart „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen“ verwendet.

    Ein weiterer Streitpunkt in der gesellschaftlichen Debatte ist das Gendern. Was wäre aus Ihrer Sicht der Sprachwissenschaftlerin ein Mittel, dem Thema die Schärfe zu nehmen?

    Die Schärfe kann aus der Debatte genommen werden, wenn man auch als Linguistin die existierende Varianz akzeptiert, die besonders in der Alltagssprache existiert. Außerdem sollte abgewartet werden, wie sich die Sprache in Bezug auf die „Geschlechtergerechtigkeit“ weiterentwickelt.

    Wenn Sie den Überzeugungen der jeweiligen Kontrahenten auf den Grund gehen: Welcher Methode bedienen Sie sich dabei?

    Ich gehe dabei primär vom Kommunikationsmodell des Sprachpsychologen Schulz von Thun aus. Dieses Modell hebt hervor, dass Kommunikationen nicht nur sachliche Informationen sondern auch Einstellungen der Sprechenden übermitteln und durch die Beziehungsebene geprägt sind, dass Gefühle, Ängste und Emotionen mitkommuniziert werden. Hinzu kommt, dass mit dem Kommunikationsereignis bei den Angesprochenen etwas erreicht werden soll. Es gilt also zu erkunden, auf welcher Ebene argumentiert wird und wo es zur gestörten Kommunikation bzw. anderen Auffassungen kommt.

    So argumentieren Linguisten auf der Sachebene, wenn sie betonen, dass das „generische Maskulinum“ ein etablierter grammatischer Mechanismus in der deutschen Sprache sei: Eine Bezeichnung mit männlichem Geschlecht (Genus) bezieht sich in der Regel auf alle biologischen Geschlechter (Sexus). Man müsse auch dabei zwischen einer grammatischen und semantischen Kategorie unterscheiden. So bezeichnen Präsensformen auch zukünftige und vergangene Ereignisse oder Singularformen auch eine Mehrzahl („das Personal“). Diejenigen, die das generische Maskulinum ablehnen, argumentieren in der Regel nicht auf der Sachebene. Sie meinen beispielsweise, dass sie mit dem Maskulinum nur mitgemeint sind und äußern ihre Überzeugung, dass sie deshalb explizit bezeichnet werden sollen.

    Sie sprechen auch von den „Gefühlen der Streitenden“. Inwieweit fließen diese in Ihr Konzept des Verstehens ein?

    Wie schon angesprochen, können Wörter und Wendungen auch emotive Befindlichkeiten der Sprechenden anzeigen. Dies wird von der modernen Sprachwissenschaft und natürlich auch von mir in die Sprachanalyse einbezogen.

    Wenn man sich die berechtigte Kritik an der stark vereinfachenden Wendung „alte weiße Männer“ anschaut, muss man die Entstehungsgeschichte einbeziehen. Die Emotionen und Ziele der Bürgerrechtsbewegungen im 20. Jahrhundert und in den Kämpfen der Identitätspolitik haben dazu geführt, dass die Wendung zum ideologischen Kampfbegriff geworden ist.

    Ihr Buch trägt dazu bei, „Tendenzen der Sprachentwicklung zu verstehen“. Dabei spielt für Sie die „Sachkenntnis“ eine wichtige Rolle. Wie wenden Sie diese Sachkenntnis an?

    Mir ist es wichtig aufzuzeigen, dass Sprachwandel ein notwendiger natürlicher Prozess ist, der zum Erhalt der Funktionsfähigkeit natürlicher Sprachen beiträgt. Dieser Wandel läuft in verschiedenen Sprachmodulen nach jeweils eigenen Prinzipien ab. Schon in der Vergangenheit wurde Sprachwandel öfters mit der Vorstellung des Verfalls der deutschen Sprache verknüpft. Dies trifft beispielsweise auf die Erweiterung des deutschen Wortschatzes durch die Aufnahme von Wörtern und Wendungen aus anderen Sprachen zu, die zu Ängsten vor einer Überfremdung der deutschen Sprache führte und führt.

    „Sachkenntnis“ zeigt, dass diese Ängste aktuell unbegründet sind, da der Anteil an Fremdwörtern nur bei ca. 5% liegt. Die beklagte „Anglizismenschwemme“ ist nur in Teilbereichen feststellbar. So kommen speziell in der Werbesprache Anglizismen überproportional zum Einsatz.

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  7. Wilhelm von Humboldt-Preis 2022


    Unsere Glückwünsche gehen an die Autorin Ekaterina Laptieva! Sie erhält den Wilhelm von Humboldt-Preis 2022 für ihre Dissertation "Atelische an-Konstruktion. Eine korpusbasierte Modifikatoranalyse" von der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft.

    Der Band untersucht die atelische an-Konstruktion (an etwas basteln/essen), die oft als Pendant zu einer transitiven Verwendung auftritt (etwas basteln/essen), und verknüpft korpuslinguistische Methoden mit von der formalen Semantik bereitgestellten Analysemitteln.

    Basierend auf Korpusdaten wird eine Analyse von an-Phrasen als ereignisinterne Modifikatoren von einstelligen Activity-Verbvarianten vorgestellt. Einen weiteren Schwerpunkt bildet der bisher wenig diskutierte Zusammenhang von Argumentrealisierung und Metaphernbildung. 

    Herausgegeben in "Studien zur Deutschen Sprache" vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS). Die Veröffentlichung beruht auf einer Dissertation der Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim. 

    Der Preis

    Die DGfS vergibt jährlich den Wilhelm von Humboldt-Preis für die beste linguistische Nachwuchsarbeit. Dieser Preis prämiert herausragende Doktorarbeiten, die in methodischer, theoretischer, oder inhaltlicher Hinsicht bedeutende Beiträge zur linguistischen Forschung darstellen, die sich für die weitere Forschung als wegweisend erweisen können. https://dgfs.de/de/inhalt/ueber/wilhelm-von-humboldt-preis/

     

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  8. Die Tendenz zur Mehrsprachigkeit steigt




    Mehrsprachigkeit ist weltweit die Norm. Auch in Deutschland wachsen inzwischen rund 40% der Kinder mit mehr als einer Sprache auf, Tendenz steigend. Wir unterhalten uns mit Prof. Dr. Doreen Bryant und Prof. Dr. Tanja Rinker, Co-Direktorinnen des Mehrsprachigkeitszentrums in Tübingen (MiT) und Co-Autorinnen des Narr Studienbuchs „Der Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit”.

    Das Mehrsprachigkeitszentrum in Tübingen (MiT) wurde 2018 gegründet. Welche Ziele verfolgen Sie?

    Das MiT ist Teil des internationalen Netzwerkes Bilingualism Matters, das zum Ziel hat, mehrsprachige Erziehung und Bildung und Mehrsprachigkeit allgemein weltweit zu fördern. Aktuell gibt es 27 sog. Branches in Europa, Nordamerika und Asien. Unser Zentrum in Tübingen ist eines davon.

    Ende Oktober 2021 fand das jährliche Symposium des Netzwerks (Bilingualism Matters Research Symposium) mit über 300 Teilnehmenden aus aller Welt statt, bei dem wir auch mit einem Vortrag vertreten waren.

    Das MiT agiert auf unterschiedlichen Ebenen: Wir halten Vorträge und geben Workshops für ErzieherInnen und Lehrkräfte sowie für Lehrkräfte, die im herkunftssprachlichen Unterricht tätig sind, initiieren Projekte, bieten Beratung für Familien und Institutionen. Wichtig war uns von Beginn an auch die Zusammenarbeit der Universität mit städtischen Einrichtungen.

    Was sind denn typische Fragen, die Menschen im Bereich Mehrsprachigkeit haben?

    Gerade für Eltern, die beide zwei oder mehr Sprachen sprechen, stellt sich häufig die Frage, ob ihr Kind mit mehreren Sprachen von Geburt an überfordert ist (Antwort: Das ist es nicht.). Eine andere Frage, mit der Eltern an uns herantreten, ist, ob sie mit ihrem Kind Deutsch sprechen sollen, obwohl sie selbst nicht so gut Deutsch sprechen (Antwort: Das sollten sie nicht.). Eine weitere Frage ist, ob Sprachmischungen (sog. Code-Switching) Zeichen mangelnder Sprachbeherrschung oder gar einer Sprachstörung sein können (Antwort: Das sind sie nicht; im Gegenteil, diese Mischungen sind in der Regel ganz systematisch und ein Zeichen von Kreativität im Umgang mit den zur Verfügung stehenden Sprachen).

    Sie sind also beide im Bereich der Mehrsprachigkeit tätig. Was gab denn nun den Ausschlag zu diesem Buch?

    Zum einen wurden wir immer wieder von Studierenden gefragt, ob es einen Überblick über den Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit gebe und zum anderen, wo sie zur Vorbereitung ihrer Examen oder für ihre Recherchen im Rahmen von Abschlussarbeiten Erwerbsstudien zum Deutschen als Zweitsprache finden können. Beide Anliegen haben wir versucht, in diesem Buch abzudecken: Den Überblick und vertiefte Einblicke in unterschiedliche Felder der Erwerbsforschung. Von Vorteil war hier, dass wir beide unterschiedliche Forschungsschwerpunkte haben und mit unterschiedlichen Methoden in unseren Projekten arbeiten.

    Das Buch richtet sich im Wesentlichen an Studierende?

    Bereits jetzt setzen wir das Buch selbst in unseren Lehrveranstaltungen ein, wichtig war uns aber von Beginn an, dass das Buch auch von Praktikern genutzt wird, insbesondere Lehrkräfte sowie Aus- und Fortbildende – eben alle, die sich detaillierte Einblicke in den Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit wünschen, um sich für ihr sprachdiagnostisches und sprachdidaktisches Handeln ein vertieftes Hintergrundwissen anzueignen und um konkrete Anregungen zu erhalten.

    Gibt es denn in naher Zukunft Fort- oder Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte, die im Bereich der Sprachvermittlung und der Sprachförderung von Deutsch im Kontext von Mehrsprachigkeit tätig sind?

    Ja, im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft (DGFS, https://dgfs.de). Den Auftakt bildet immer ein Lehrerinformationstag mit zahlreichen Fortbildungsangeboten für Lehrkräfte. Der Lehrerinformationstag der DGFS fungiert als Brückenbauer zwischen Sprachwissenschaft und pädagogischer Anwendung. Im Fokus des Lehrerinformationstages auf der Jahrestagung 2022 stehen Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und Sprachbildung im Fach. Auf Empfehlung des Regierungspräsidiums und auf Wunsch vieler Lehrkräfte, die pandemiebedingt im Februar keine Kapazitäten für eine Fortbildung haben, wurde der Lehrerinformationstag auf den Juni verschoben. Es werden am Nachmittag und Abend des 24.6.22 insgesamt acht praxisorientierte Workshops angeboten sowie ein Plenarvortrag. Interessierte Lehrkräfte können sich über die E-Mail-Adresse des Tübinger Mehrsprachigkeitszentrums (mehrsprachigkeit@ds.uni-tuebingen.de) unverbindlich melden. Sie erhalten dann weitere Detailinformationen.

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  9. "Sprache verändert sich, und das ist gut so"


    „Die Sprache verändert sich, und das ist gut so“ – Prof. Christa Dürscheid im Gespräch mit dem Wissenschaftsjournalisten Beat Glogger in der Gesprächsreihe „Geisteswissenschaft konkret“ der Universität Zürich.

    Heißt es nun: “Während dem Fußballspiel“? Nein: Es heißt nach wie vor: „Während des Fußballspiels“ – denn die Präposition „während“ regiert den Genitiv, nicht den Dativ. Aber in der Umgangssprache beginnt der 3. Fall den 2. zu meucheln. Ist der Dativ also dem Genitiv sein Feind? Ja, sagt Prof. Christa Dürscheid, dann nämlich wenn es um die Einhaltung von Normen in der Sprache geht. Und Normen sind zumindest für den, der ein gewisses Sprachempfinden besitzt, eine Herzensangelegenheit. Andererseits verändert sich Sprache. Sie bleibt in Bewegung, integriert bislang unbekannte Elemente – wie die „Emojiis“ in den sozialen Netzwerken. Ein Unglück? Keineswegs! Denn es gilt: „Sprache verändert sich!“ sagt die Professorin für Deutsche Sprache an der Universität Zürich. „Und das ist gut so!“

    Christa Dürscheid hat eine Professur für deutsche Sprache. Sie ist Trägerin des Konrad-Duden-Preises 2020 (https://www.duden.de/ueber_duden/konr...​) und veröffentlicht unter https://twitter.com/VariantenGra​ regelmäßig Tweets zur sprachlichen Variation im Deutschen.

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  10. Sprachen lernen in der Pubertät


    Interview mit Prof. Dr. Michaela Sambanis, Freie Universität Berlin zu „Sprachen lernen in der Pubertät“

    Warum sind Jugendliche eine besondere Zielgruppe für Ihre Forschungen?

    Wer mit Jugendlichen zu tun hat, der weiß, dass diese Zielgruppe herausfordernd und manchmal auch anstrengend sein kann. Aber warum eigentlich?
    Die Jugendzeit ist die Phase, in der das Gehirn gezielt umgebaut wird, und zwar so, dass es bestmöglich an die Anforderungen angepasst ist, die es zu erbringen hat. Der Umbau beginnt im hinteren Bereich des Gehirns und läuft weiter bis nach vorne zu den präfrontalen Bereichen. Dort, hinter der Stirn, wird besonders intensiv und lange umgebaut. Die Umstrukturierung ist erst ca. mit 25 Jahren abgeschlossen. In den frontalen Regionen sind übergeordnete Steuer- und Kontrollfunktionen verortet. Sie werden aktiviert, wenn es gilt, etwas zu planen, vernünftige Entscheidungen zu treffen, überlegt zu handeln usw., Leistungen, die Jugendlichen während bzw. wegen des Umbaus der dafür zuständigen Bereiche mitunter schwer fallen. Ein maßgeschneidertes und gründliches Ausreifen dieser Regionen ist aber für das gesamte weitere Leben enorm wichtig, deswegen wird diesem „Umbauabschnitt“ in der Jugend besonders viel Zeit und damit zugleich die Möglichkeit gegeben, sehr vielen Lerngelegenheiten begegnen zu können.
    Verschiedene Verhaltensweisen in der Pubertät lassen sich vor dem Hintergrund solcher Erkenntnisse besser verstehen und es fällt leichter, sie einzuordnen. Die Pubertät ist eine enorm wichtige Entwicklungsphase, in der das Gehirn einen umfangreichen Entwicklungsschub macht. Aus diesem Grund ist die Zielgruppe der Jugendlichen eine besondere und eine besonders wichtige für meine Arbeit.

    Was können Lehrkräfte aus den Erkenntnissen zur Entwicklung des jugendlichen Gehirns lernen?

    Die Erkenntnisse der Hirnforschung können Lehrkräften dabei helfen, besser zu verstehen und eine gute Balance zwischen Gelassenheit und sinnvollen Regeln zu finden sowie entwicklungsgemäße Anreize zu schaffen. Das Gehirn braucht in dieser Phase neue Erfahrungen, um sich weiterentwickeln zu können. Deswegen suchen viele Jugendliche nach Freiraum und beginnen, Vorgaben infrage zu stellen. Besonders durch neue Herausforderungen gelingt es dem jugendlichen Gehirn letztendlich u.a., die schon erwähnten übergeordneten Funktionen, wie z.B. vorausschauendes Denken, weiterzuentwickeln.
    Befunde der Hirnforschung belegen außerdem, dass es Jugendlichen tatsächlich schwerer fällt, Versuchungen zu widerstehen. Gehirnbereiche, die auf Spaß reagieren, befinden sich in einer Phase des Wachstums und zeigen besondere Aktivität. Dadurch haben Situationen, die Spaß in Aussicht stellen, eine besondere Anziehungskraft auf Heranwachsende. Im Unterricht gibt es Situationen, in denen das Verlangen nach Spaß mit der Bereitschaft zu ernsthaftem Lernen konkurriert, und oftmals muss man als Lehrkraft konsequent sein. In anderen Fällen hingegen, ist es möglich, die Affinität der Jugendlichen für Spaß methodisch und didaktisch zu nutzen, z.B. indem man Abwechslung in den Unterricht bringt, altersgemäß-spielerische Aufgabenformate einsetzt, die Kreativität anspricht, mit Übungen aus dem Improtheater arbeitet etc. Sprachen lernen in der Pubertät enthält eine Sammlung mit erprobten Praxisimpulsen für den Fremdsprachenunterricht speziell bei Jugendlichen.

    Die Pubertät ist übrigens als eine Teilphase der Adoleszenz definiert. Sie setzt bei Mädchen etwa eineinhalb Jahre früher ein als bei Jungen, bei Mädchen ca. mit 10 Jahren, bei Jungen mit 11 bis 12. Das Faszinierende an dieser Entwicklungsphase sind ihre Potenziale: Die Pubertät ist vor allem eine Zeit besonderer Lernchancen und besitzt hohe Relevanz.

    Welche Chancen bietet diese Phase?

    Ein für das Sprachenlernen besonders wertvolles Potenzial, eröffnet die kognitive Entwicklung: Sie macht in der Jugendzeit beachtliche Fortschritte. Jugendliche können vernetzter denken als jüngere Kinder. Die Entwicklungen im jugendlichen Gehirn ermöglichen schnellere Reizweiterleitung, sodass Verbindungen nunmehr auch über längere Distanzen aufgebaut werden können, wodurch die Vernetzung ausdifferenziert und erweitert wird. Bei jüngeren Kindern laufen kognitive Prozesse eher in lokal begrenzten Hirnregionen ab. Durch die optimierte Vernetzung im Gehirn sind Heranwachsende in der Lage, abstrakter und komplexer zu denken. Das kann beim Sprachenlernen genutzt werden, z.B. durch Unterrichtsverfahren, die zur Reflexion anregen, eigene Strukturierungen anstoßen oder auf eine Metaebene führen.
    Eine weitere beachtenswerte Entwicklung betrifft die Kreativität: Hier zeigen sich Fortschritte im Laufe der Pubertät, ein Höchststand wird etwa im Alter von 16 erreicht. Jugendliche besitzen demzufolge großes kreatives Potenzial, auch wenn sie es aus Bequemlichkeit oder Scheu nicht immer von sich aus nutzen. Betrachtet man diesen Befund zusammen mit der ebenfalls nachgewiesenen Spaß-Affintät Heranwachsender, dann eröffnen sich weitere Möglichkeiten für eine abwechslungsreiche, altersgemäße Unterrichtsgestaltung (Theaterimpulse, Musik etc., mit humorvollen Texten arbeiten, das Gemeinschaftsgefühl stärkende Aktivitäten einsetzen,…).

    Viele Lehrkräfte und Eltern erleben die Pubertät vor allem als anstrengende Zeit. Warum vertreten Sie hingegen einen Stärken-Ansatz, nicht einen Defizit-Ansatz?

    Die frühe Kindheit und die Pubertät sind zwei entscheidende Entwicklungsphasen, in denen ganz viel Potenzial aufspringt, das für das Sprachenlernen genutzt werden kann. Der frühen Kindheit wird ihr besonderes Potenzial selten abgesprochen, bei der Pubertät hingegen sind viele erstaunt, dass auch sie eine Phase voller Chancen ist. Die Herausforderungen, die diese Entwicklungsphase mit sich bringt – übrigens nicht nur für Bezugspersonen, sondern auch für die Heranwachsenden selbst – stelle ich nicht infrage, aber wir schenken m.E. Defiziten recht viel Beachtung. Das gilt nicht nur für den Kontext Pubertät, sondern ist auch in anderen Bereichen zu beobachten, auch in Lernkontexten. Dabei zeigt Entwicklungsförderung oft bessere Ergebnisse, wenn sie Stärken fokussiert, anstatt nur oder vorrangig Defizite. Individuelle Stärken bilden Ressourcen, an denen man ansetzen kann, um den Aufbau von Selbstvertrauen, Resilienz und Zuversicht zu unterstützen. Wenn man als Lernender erkennt, dass man Stärken besitzt, lässt es sich auf dieser Grundlage deutlich leichter, bereitwilliger und erfolgreicher weiterarbeiten, auch an Bereichen, in denen man noch nicht so gut aufgestellt ist.  

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